Graphic Novel "Sabrina" von Nick Drnaso Der Roman der Stunde

Düsseldorf · Als erste Graphic Novel war „Sabrina“ von Nick Drnaso für den Man Booker Prize nominiert. Nun liegt die deutsche Ausgabe vor.

 Szene aus dem Comic „Sabrina“ von Nick Drnaso.

Szene aus dem Comic „Sabrina“ von Nick Drnaso.

Foto: Nick Drnaso/Aufbau-Verlag

Der Man Booker Prize heißt seit diesem Jahr nur noch Booker Prize, weil der Hauptsponsor kürzlich abgesprungen ist, das Hedgefonds-Unternehmen Man Group. Die Man Group hatte über Jahre Millionen in den wichtigsten Preis für englischsprachige Literatur gesteckt, aber dann hatte der Bestseller-Autor Sebastian Faulks die Frage aufgeworfen, ob die Firma der richtige Geldgeber sei. Die Investment-Banker seien „nicht die Art Leute, die Literaturpreise sponsern sollten – sie sind die Art Leute, die von Literaturpreisen kritisiert werden sollten“, sagte Faulks. Das Ergebnis: „Der Feind“, so Faulks, zog sich zurück.

Allerorten wird zurzeit über richtige und falsche Kultursponsoren diskutiert, es ist da etwas in Bewegung geraten. Gemessen an den Umwälzungen und Erschütterungen, die die Welt sonst gerade erfährt, ist die Debatte selbstverständlich eine Marginalie, aber sie passt gut in eine Zeit, in der vieles infrage gestellt wird und manches nicht weitergeht wie bisher. Man denke an MeToo, „Fridays For Future“, aber auch daran, dass Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt werden konnte. Ein Mann, dem zahlreiche Lügen nachgewiesen wurden und der vom Weißen Haus aus mit alternativen Fakten hantiert.

Und damit zurück zum Man Booker Prize. Als der im vergangenen Jahr noch so hieß, tauchte auf der Nominiertenliste auch ein Kandidat auf, den es dort so noch nie gegeben hatte. Erstmals war nämlich ein Comic in die engere Auswahl gekommen. Es heißt „Sabrina“, und der Autor ist in diesem Fall ein Zeichner: Nick Drnaso.

Ein Jahr später liegt „Sabrina“ nun auch auf Deutsch vor und passt gleichfalls gut in unsere Zeit. „Sabrina“ beginnt mit der titelgebenden Figur, einer jungen Frau, man sieht sie aus nächster Nähe, im Hintergrund Mikrowelle, Fotos unter Kühlschrankmagneten. Tristesse royale.

Sabrina füttert die Katzen ihrer verreisten Eltern, löst Kreuzworträtsel mit ihrer Schwester, und nach fünf Buchseiten verschwindet sie spurlos. Später taucht ein Video auf, das ihr Mörder verbreitet hat, und im Internet schießen die Verschwörungstheorien ins Kraut. Ein rechter Radiomoderator vermutet neueste Bildbearbeitungstechniken des Militärs, die trauernde Familie – alles Schauspieler! Sabrinas Freund ist derweil zu einem alten Schulfreund gezogen, der gerade von Frau und Kind verlassen wurde. Tagsüber arbeitet der Kumpel bei der Air Force, nachts trifft er die Kameraden in den Chats von Ballerspielen wieder. Mittels Videotelefonie versucht er mit seiner Tochter in Kontakt zu bleiben. Nicht nur sein Haus ist leer geräumt, es herrscht dort auch eine innere Leere.

„Sabrina“ ist auch wegen der fabelhaften Bildsprache ein tolles Buch geworden. Total reduziert, gedeckte Farben, seitenweise verzichtete Nick Drnaso auf Text, man sieht den Figuren ihre Sprachlosigkeit an. Wie im Film arbeitete der Zeichner mit Schnittbildern zwischen den Szenen, verwaiste Parkplätze, lange Straßen, leere Gänge, Schuhkarton-Architektur. Wie Fotografien von Stephen Shore, nur in noir.

Als er das Buch im Frühjahr 2017 fertiggestellt hatte, erzählte Drnaso der „Süddeutschen Zeitung“, war gerade Trump Präsident geworden, „alles war auf einmal negativ, und ich dachte: Braucht es jetzt auch noch einen Comic, der so unerfreulich ist?“ Er wollte auf keinen Fall voyeuristisch wirken. Wenn seine Figuren weinen müssen, wenden sie sich vom Betrachter ab. Nach anfänglichem Hadern veröffentlichte der gerade erst 30-jährige Drnaso „Sabrina“ schließlich doch, die Einnahmen der ersten Auflage spendete er.

Dass er es mit seinem Buch schließlich unter die Booker-Prize-Nominierten brachte, kam unerwartet und darf als weiteres Indiz für eine Zeitenwende gedeutet werden. Comics erfahren eine immer höhere Wertschätzung, seit sie den Lesern als sogenannte Graphic Novels verkauft werden. Zwar sind unter den Bilderromanen zahlreiche, die nicht über die Nacherzählung und Bebilderung von Literaturklassikern hinauskommen; aber immer wieder gibt es auch Arbeiten, die dem Genre etwas Neues hinzufügen – um nur wenige zu nennen: der Entwicklungsroman-Comic „Blankets“ von Craig Thompson; „Fun Home“ von Alison Bechdel, das von einem spannungsgeladenen Vater-Tochter-Verhältnis erzählt; „Katharsis“ und „Die Leichtigkeit“ von Luz und Catherine Meurisse, zwei Überlebende der „Charlie Hebdo“-Anschläge.

Dass es nun ein Comic weit nach vorne gebracht hat, lässt darauf hoffen, dass Verlage künftig eher bereit sind, verstärkt in junge, vielversprechende Zeichner zu investieren. Nick Drnaso jedenfalls kann von dem, was ihm Comic und Buchpreis-Nomiminerung an Aufmerksamkeit und Auflage einbrachten, vorerst leben. Während der Zeit an „Sabrina“ arbeitete der Zeichner noch als Hausmeister und am Fließband. Gewonnen hat er den Man Booker Prize übrigens nicht.

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