Düsseldorf Götterduft für eine Nymphe

Düsseldorf · Jean-Philipp Rameaus Barockoper "Platée" erlebte in der Regie von Karoline Gruber eine spannende Premiere in der Düsseldorfer Rheinoper. Die Inszenierung hatte viele witzige und anrührende Momente, die Musik – von Konrad Junghänel dirigiert – moussierte wie ein guter Champagner.

Zahllose bedenkliche, groteske und schrullige Begegnungen haben unsere Einsicht gehärtet, dass Götter auch nur Menschen sind. Wir kennen sie als Wichtigtuer, Knatschtanten, Lebemänner, falsche Fuffziger, launische Diven und hartherzige Potentaten – von Monteverdis "Orfeo" bis zu Wagners "Ring" und noch viel weiter. Mit diesen Leuten möchte man im normalen Leben keinen Kontakt haben – und wenn doch, dann auf der gefahrfreien Opernbühne.

Dort, im Haus an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Allee, betraten wir nun den ehelichen und außerehelichen Parcours von Obergott Jupiter und seiner Gattin Juno, die einander in herzlicher Eifersucht zugetan sind und allerlei infantile Spielchen treiben, um stets zu heißer Versöhnung zu finden. Diesmal soll – und davon handelt Jean-Philippe Rameaus Oper "Platée" (1749) – Jupiter zum Schein mit der Sumpfnymphe Platée verkuppelt werden; das haben sich ein paar seiner Nebengötter so ausgedacht. Der Jux soll den olympischen Spaßfaktor erhöhen und auf Kosten Platées den Burgfrieden wiederherstellen.

In Düsseldorf wird das Satyrstück über derlei göttliche Einfalt als Theaterstück für die Gäste eines Firmenfests geboten, bei dem zuvor ein neues Kaltgetränk namens "Jupiter" vorgestellt wurde, eine Mischung aus Champagner und Wodka. Die Regisseurin Karoline Gruber hat "Platée" fidel und frivol in die Moderne übersetzt, was dem Werk gut bekommt und keinesfalls schadet. Da es sich um den Spezialfall des "Ballet bouffon" handelt, gibt es viele originale Tanzeinlagen, die hier in Breakdance und Gymnastik absolviert werden. Tanz den Rameau, tanz den Jupiter – das ist eine feine Sache, wobei der Gott allerdings, so wollte es bereits der Komponist, sehr spät auf die Bühne tritt; zuvor ziehen Merkur, Amor und andere Hochmögende die Fäden.

Platée ist nun in Düsseldorf keine weltfremde, überkandidelte Schabracke, der man die Selbstüberschätzung, ein Gott könne sich ihr vermählen wollen, leichthin gönnt. Nein, Anders J. Dahlin spielt und singt die Nymphe (eine waschechte Hosenrolle) als verhärmte, grätenhafte, ein wenig spillerige, blondbleich beschopfte und herzensweiche Unschuld vom Land, die im Flug unsere Sympathie gewinnt. In Liebesdingen benimmt sich Platée herrlich backfischhaft. Wie sie neue Kleider kennenlernt und anprobiert; wie sie einen Flacon, Jupiters Verlobungsgeschenk, öffnet und den Ruch des Sumpfs gegen das Aroma der Parfümeure tauscht; wie sie beschämt die Augen niederschlägt und sich unbändig freut, wenn Jupiter in ihre Nähe kommt: Das ist in der Personenführung meisterhaft ausgearbeitet. Viel Spaß hat man auch an der gekonnten Persiflage des himmlischen Bodenpersonals, etwa des Amor (eine abstrakte Lady im weißen Leder-Catsuit; Kostüme: Mechthild Seipel) oder von La Folie (einer sündigen Lady im schwarzen Lackdress). Dass ein männliches Amor-Double später seine Pfeile mit einer Phallusspitze verschießt, ist ein wenig derb als Idee, aber was soll's?

Sollte die kluge, witzige, raffinierte Karoline Gruber ein wenig Zeit zum Feintuning finden, dann bitte: Die Rahmenhandlung mit lauter fallsüchtigen, vom Leben gebeutelten Jugendlichen versteht man nur schwer oder gar nicht. Die Zappelei von Armen, Beinen und Kofferdeckeln, die auffällig parallel zur Melodie und Rhythmus der Musik geführt sind, verschleißt sich mit der Zeit. Und die Bühne von Roy Spahn findet irgendwie keinen Ort, sie ist als Definition unscharf. Das gilt sogar für den überdimensionalen Schuh mit hohem Absatz, der als Gangway der Götter dient.

Die Zeit wird jedenfalls kurz an diesem Abend, was auch an Rameaus köstlich prickelnder Musik liegt. Konrad Junghänel entzündet sie mit der Neuen Düsseldorfer Hofmusik als rauschende, leicht moussierende Edelkaltschale. Die Oboen geben dem Sound Schmelz, die Flöten glucksen oben drüber, die Streicher zischen. Exzellent und hellwach die Continuo-Truppe, auffallend lebendig und dynamisch der Chor unter Gerhard Michalski. Die Solisten wurden dominiert von Dahlins Platée. Er sang stilistisch meisterhaft, tanzte schier seine Koloraturen und geizte nicht mit Ausdruck. Neben ihm gefiel vor allem Sylvia Hamvasi als La Folie. Die weiteren Partien waren ordentlich besetzt.

Das Ende war dann allerdings starker Tobak. Dass Platée dem Citheron eine Pistole entwindet, lässt Ungutes ahnen. Tatsächlich sehen wir in den letzten Takten Platée mit der Knarre in der rechten und mit einem aufblasbaren Herzchen in der rechten Hand. Dann geht das Licht aus, und man hört einen Schuss. Frau tot? Ballon tot? Ohne diesen Schuss wären wir voller drängender Ahnungen aus dem Haus gegangen. So verließen wir es mit einer plumpen Gewissheit.

(RP)
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