Neue Ausstellungen in Berlin Entfernte Verwandte

Berlin · In Berlin sind zwei neue Ausstellungen zur deutschen Geschichte zu sehen: „Germanen“ sind auf der Museumsinsel zu sehen und „Von Luther zu Twitter“ im Deutschen Historischen Museum.

 Der öffentliche Reformator: eine Reihe von Porträts Marin Luthers in der Ausstellung „Von Luther zu Twitter. Medien und politische Öffentlichkeit“ im Deutschen Historischen Museum.

Der öffentliche Reformator: eine Reihe von Porträts Marin Luthers in der Ausstellung „Von Luther zu Twitter. Medien und politische Öffentlichkeit“ im Deutschen Historischen Museum.

Foto: dpa/Britta Pedersen

Ein Volk, das sich Germanen nannte, hat es vielleicht nie gegeben“, stellte der Wiener Historiker Walter Pohl vor einigen Jahren fest: Vieles spricht dafür, dass es sich beim Germanen-Namen um eine Fremdbezeichnung handelt. Caesar nutzte ihn als politisches Instrument zur Grenzziehung: Links des Rheins die Gallier, rechts die Germanen. Doch es ist eine weder archäologisch noch sprachgeschichtlich nachweisbare Trennlinie, die verstreuten Stämme, die sich nie als eine Einheit verstanden, kannten keine Grenzen und keine verbindliche gemeinsame Sprache. Das meiste, was wir von den Germanen heute zu wissen glauben, beruht auf purer Fantasie.

Wie sollte es auch anders sein: Denn sie betrieben keine Historiografie, ihre Runenschrift entstand erst, nachdem Roms Imperator Caesar und Geschichtsschreiber Tacitus das Zeitliche gesegnet hatten. Während Caesar die Germanen als propagandistisches Feindbild erfand, um seine Kriegsstrategie besser verkaufen zu können, schilderte Tacitus Germanien als schauerhafte Wildnis, bedeckt von dunklen Wälder und wüsten Sümpfen. Alles Lüge: Das Land war hochgradig kultiviert, die Siedlungen übersichtlich angelegt, Handelswege führten bis nach Skandinavien und zum Schwarzen Meer. Und weil Rom Soldaten brauchte, um das riesige Reich zu erschaffen, dienten germanische Söldner als willige Hilfskräfte: Selbst der legendäre Arminius hatte lange in der römischen Armee gedient, bevor er seine Heimatliebe wiederentdeckte und den Römern eine vernichtende Niederlage beibrachte. Dass er später zum Begründer einer deutschen Nation verklärt wurde, der vom Teutoburger Wald aus sein Schwert gegen den angeblichen Erzfeind Frankreich reckt, ist Ausdruck einer „Blut-und-Boden-Ideologie“, die Arminius vollkommen fremd war: Nichts als ein gefährlicher Mythos.

Vom zweifelhaften Bild der Römer bis zu den ideologischen Verblendungen der Nationalisten reicht eine mit mehreren Hundert Objekten und Relikten, Bildern und Dokumenten reich bestückte Ausstellung auf der Berliner Museumsinsel: „Germanen. Eine archäologische Bestandsaufnahme“ hat zwei Spielorte: In der neu gebauten, die verstreuten Museen über- und unterirdisch miteinander verbindenden James-Simon-Galerie werden Handel und Wandel, Alltag und Arbeit jener Stämme präsentiert, die wir heute als Germanen bezeichnen. Versucht wird, herauszufinden, wie sie organisiert waren, womit sie handelten, woran sie glaubten, gegen wen sie warum kämpften: In Kapiteln wie „Zwischen Selbstversorgung und Spezialistentum“, „Krieg – ein weites Feld“ oder „Rom: Ein nützlicher Gegner“ werden Objekte und Installationen gezeigt: das typische Langhaus, in dem Mensch und Tier zusammenlebten, Kämme, die als wertvolle Rangzeichen fungierten, Werkzeuge, Beutestücke, Abbildungen. Unser entfernter Verwandter wird befragt und umkreist, aber nicht in fertige Schubladen verpackt: Um endgültige Antworten zu geben, ist die Datenlage zu ungesichert, sind die archäologischen Funde zu mehrdeutig.

Wo aber die Fakten Raum für Interpretationen lassen, sind die Fiktionen nicht weit, werden gern Legenden und Mythen gestrickt: Was völkische Verklärung aus den Germanen machte, und wie das meist symbiotische Verhältnis von Römern und Germanen zu einer angeblich durchweg kriegerischen Geschichte umgebogen wurde, wird ein paar Schritte entfernt im Neuen Museum erzählt, in all seinen widersprüchlichen Facetten aufgefächert und diskutiert: Geschichtswissenschaft zum Anfassen und sich Verlieren.

Nur einige Steinwürfe entfernt, im Deutschen Historischen Museum, kann man sich Klarheit darüber verschaffen, auf welchen Wegen und Irrwege Kommunikation verläuft, wie Worte zu Waffen werden: „Von Luther zu Twitter“ schlägt mit unzähligen Texten und Hörbeispielen, Porträts und Propagandaschriften eine Schneise durch den Dschungel von 500 Jahren Mediengeschichte. Buchdruck, Presse, Rundfunk, Fernsehen, Internet: Vom Kampf um die Reformation bis zum Kampf um Fake News, von der Tageszeitung zur Online-Nachricht, von den Thesen an der Tür der Wittenberger Schlosskirche bis zur nachts von Donald Trump per Twitter herausposaunten Polemik. Wer verstehen will, wie Medien Meinung machen und die politische Öffentlichkeit dominieren, sollte sich Zeit nehmen, zuhören, lesen, mitdenken. Goebbels Gebrüll aus dem „Volksempfänger“, selbstverliebte Politikerdebatten und kommunikative Nullbotschaften, harmlose Witzeleien in Samstagabend-Shows, Reportagen von Kriegsschauplätzen, geteiltes Wissen in offenen Kanälen: Wir informieren und amüsieren uns zu Tode.

Die Utopie einer demokratischen und herrschaftsfreien Kommunikation ist ausgeträumt. Wo Wahrheit und Lüge nicht mehr zu unterscheiden sind, werden Medien zu Machtmaschinen. Sie können die Welt verbessern oder zerstören. Die Erkenntnis ist beileibe nicht neu. Aber selten lag sie so offen zutage.

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