Interview Gerhart Baum „Wir brauchen einen Kulturgipfel in Berlin“

Düsseldorf · Nach dem Stufenplan der NRW-Regierung dürften kleine Theater zum Ende des Monats wieder öffnen. Doch das rechnet sich für sie gar nicht. Auch an anderer Stelle gibt es weiter großen Unterstützungsbedarf, sagt der Vorsitzende des NRW-Kulturrats. Die Krise für die Kultur sei längst nicht vorbei.

 Der früheren Bundesinnenministers Gerhart Baum (FDP). Heute ist er Vorsitzender des NRW Kulturrats. Foto: Anne Orthen

Der früheren Bundesinnenministers Gerhart Baum (FDP). Heute ist er Vorsitzender des NRW Kulturrats. Foto: Anne Orthen

Foto: Anne Orthen (orth)/Anne Orthen (ort)

Der Stufenplan zur Öffnung der Kultur in NRW stößt vor allem bei Betreibern kleiner Einrichtungen auf große Kritik. Sie sollen ihren Theaterbetrieb Ende Mai wieder hochfahren, dürfen aber wegen der Abstandsregeln nur so wenige Zuschauer zulassen, dass das die Kosten nicht annähernd deckt. Ein Gespräch mit Gerhart Baum, ehemaliger Bundesinnenminister und heute Vorsitzender des Kulturrats NRW.

Wieso sind die Anliegen der Kultur von der Politik bei der Planung der Öffnung so wenig berücksichtig worden?

Gerhart Baum Der Stufenplan der Öffnung ist natürlich eine Erleichterung. Aber es wäre ein großer Irrtum anzunehmen, dass nicht nach wie vor viele Künstler und kulturelle Einrichtungen in ihrer Existenz bedroht sind. Es bedarf des Blicks auf die gesamte Kulturlandschaft, die sehr viel weiter reicht. Es fehlt nach wie vor ein spezielles Künstlerhilfsprogramm für NRW nach dem Vorbild anderer Länder. Wir sind darauf gespannt, ob die Regierung in der nächsten Woche im Kulturausschuss ein neues Programm vorlegt, nachdem die bisherigen Programme seit Wochen abgebrochen sind. Es ist doch seit langem bekannt, dass es keine spezielle Soforthilfe für die Freischaffenden mehr gibt. Das erste Hilfsprogramm war schnell erschöpft. Nur 20 Prozent der Antragsteller hatten etwas davon. Und nun werden sie auf das Arbeitslosengeld verwiesen, das gar nicht geeignet ist. Es bedarf auch einer speziellen Hilfe für die vielen kleinen oft gemeinnützigen Kultureinrichtungen, die nicht dauerhaft subventioniert sind. Auch da können andere Länder, wie Rheinland-Pfalz, Vorbild sein.

Wieso klagen gerade die kleinen Theater?

Baum Sie haben mit Umsetzung der vorsichtigen Öffnung große Probleme. Ich fürchte, viele werden es versuchen, aber doch nicht schaffen. Es fehlen präzise Vorgaben für bauliche Veränderungen. Jedes Haus muss sich sein eigenes Konzept genehmigen lassen Wer übernimmt die Umbaukosten? Es gibt dazu ein Bundesprogramm, aber was leistet das Land? Geringeres Publikum bedeutet geringere Einnahmen. In einem Theater mit 300 Plätzen sitzen dann 64 Personen. Das ist nicht zu finanzieren. Die Spielstätten teilen mir mit, dass auch die Solidarität schwindet. Sie fürchten, dass Eintrittsgelder zurückgefordert werden und spüren jetzt schon, dass die Öffentlichkeit so reagiert, als sei alles auf einem guten Wege. Das kann sehr leicht auch Auswirkungen auf die Spendenbereitschaft haben.

Was fordern Sie von der Landesregierung?

Baum Sie muss sich mit den Schwierigkeiten der Umsetzung befassen und mit den damit verbundenen Finanzierungsproblemem.

Viele Theaterleiter bemängeln, dass niemand aus der Politik mit ihnen geredet hat, bevor der Öffnungsplan ergingen. Mangelt es da an Kommunikation?

Baum Die Kommunikation muss verstärkt werden. Ein runder Tisch der Ministerin mit den Theaterleuten wäre sinnvoll. Der Beratungsdienst des Kulturrats NRW leistet auch gerne Hilfe, wenn die Grundentscheidungen getroffen sind. Vor allem aber ist es wichtig, dass die Landesregierung der Meinung energisch entgegen tritt, die Öffnung führe den Kulturbereich aus der Krise. Sie bleibt mittendrin!

Müsste die Kultur mehr Lobby-Arbeit in Berlin betreiben, so wie andere Wirtschaftszweige, denn das ist die Kultur ja auch, ein Wirtschaftszweig.

Baum Nicht nur in Berlin. Vielen Politikern ist gar nicht bewusst, dass Kultur nicht nur systemrelevant, sondern demokratierelevant ist. Sie hat daher eine privilegierte Stellung im Grundgesetz. Sie ist nicht auf eine Stufe zu setzen mit anderen Politikbereichen. Vielen Politikern fällt es ausgesprochen schwer, sich für die Kultur einzusetzen. Nur selten spielt sie jetzt in den vielen Talk-Runden eine Rolle. Man spricht leichter über Automobilindustrie und Gastwirte und über die Bundesliga als über Kultur. Übrigens wird dabei völlig vergessen, dass es bei der Kultur auch um Arbeitsplätze geht, in NRW zum Beispiel um mehr als in der Chemischen Industrie. Nach so vielen Autogipfeln wäre es ein bemerkenswertes Bekenntnis zum Kulturstaat Deutschland, wenn die Kanzlerin zu einem Kulturgipfel einladen würde.

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