Gerda Henkel Preis Lorraine Daston und der Traum von der Einheit der Wissenschaft

Einer der höchstdotierten Wissenschaftspreise in Deutschland geht an die Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston. Die Gerda Henkel Stiftung überreichte die Auszeichnung am Montagabend in kleinem aber festlichen Rahmen.

 Preisträgerin des Gerda Henkel Preises: die US-amerikanische Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston.

Preisträgerin des Gerda Henkel Preises: die US-amerikanische Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston.

Foto: dpa/Stefan Maria Rother

Zwei Jahre musste die Preisträgerin auf ihre offizielle Ehrung warten. Eigentlich ist Lorraine Daston die Henkel-Preisträgerin des Jahres 2020. Die Coronapandemie verzögerte die Verleihung des mit 100.000 Euro dotierten Stiftungspreises um zwei Jahre. Wegen der aktuellen Zeiten des Krieges und der allgemeinen Unsicherheit verlegte man die Feierstunde in einen ungewohnt bescheidenen Rahmen: Als „Geste des Verzichts“ bezeichnete der Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Michael Hanssler, die Tatsache, dass die Ehrung dieses Mal in den eigenen Stiftungsräumlichkeiten an der Malkastenstraße erfolgte. In vergangenen Jahren hatten sich Preisträger und Gäste dafür stets in größerem Rahmen in der Kunstsammlung NRW versammelt.

Die Wissenschaftshistorikerin Daston wird dies nicht gestört haben. Im schlichten schwarzen Kleid und mit dem für sie typischen Reif im Haar freute sie sich vor allem auf den abendlichen Diskurs mit Gleichgesinnten. Seit Jahrzehnten forscht die 71-jährige US-Amerikanerin über die Geschichte der Wissenschaft. „Am Beginn allen Forschens steht das Staunen“, hat sie einmal gesagt – es ist ihr Motto geworden für ein Leben mit der Wissenschaft. Deren Wahrheiten seien niemals ewig gültig, dieser Überzeugung schenkt die Preisträgerin immer wieder in Vorträgen und zahlreichen Publikationen ihre Aufmerksamkeit.„Die Wahrheiten von heute sind die Fehler von morgen“, sagte die emeritierte Direktorin am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin vor zwei Jahren im Interview mit der Rheinischen Post.

In ihrem Festvortrag am Montagabend beschäftigte sie sich mit dem „Traum von der Einheit der Wissenschaft“. Der Titel allein lässt ahnen: Diese Einheit gibt es nicht. Daston dokumentierte das anschaulich anhand historischer Ereignisse. Immer wieder gab es in der Vergangenheit den Versuch, die Wissenschaft in ein einheitliches Korsett zu zwängen – zunächst mit der Gründung der Internationalen Akademie der Wissenschaft 1899. Tatsächlich hatte dieser Zusammenschluss mit Internationalität eher wenig zu tun: Neben Nordamerika kamen die Mitglieder überwiegend aus deutschsprachigen Ländern in Europa. Der Erste Weltkrieg beendete denn auch diesen ersten Verbund der Wissenschaft. Ihr Nachfolger, die Internationale Enzyklopädie, fand ihr Ende im Zweiten Weltkrieg.

Für Daston ist der Traum von der Einheit der Wissenschaft eine Utopie. Und das ist gut so. „Die Wissenschaft lebt davon, dass sie uneinig ist“, so die Preisträgerin.

Lebendiger dagegen erscheint ihr der Traum von einer Einheit der Wissenschaftler. Dass diese gelingen kann, bewiesen wissenschaftliche Vertreter von 54 Nationen im Jahr 2018: Damals brachten sie einstimmig eine Neudefinition der Maß- und Gewichtseinheiten zum Abschluss, das Internationale Einheitensystem (SI).

Die Gerda Henkel Stiftung ehrt mit ihrem gleichnamigen Preis seit dem Jahr 2006 alle zwei Jahre herausragende und international anerkannte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Lorraine Daston setzte sich unter 100 Nominierten aus 38 Ländern durch. Ein wichtiges Kriterium für die Jury sei außerdem, das von den Ausgezeichneten auch in Zukunft noch spannende Erkenntnisse zu erwarten seien, so Michael Hanssler. Lorraine Daston etwa hat gerade ihr neues Buch „Rules" herausgebracht. Ihre Neugier an Geschichte und Zukunft der Wissenschaft wird sie auch künftig weiter antreiben.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort