Museum Morsbroich Gegen die Strömung

Leverkusen · Im Leverkusener Museum Morsbroich ist anregende Kunst zum Thema Aufbruch zu sehen. Sie lädt zum Philosophieren ein.

Reisen ins Ungewisse stehen nicht im Katalog. Wer beim Aufbruch das Ziel schon vor Augen haben möchte, ist Pauschaltourist, kein Sehnsuchtsgetriebener auf den Spuren der Romantiker. An solche Abenteurer des Geistes aber wendet sich eine Ausstellung, die soeben im Leverkusener Museum Morsbroich eröffnet wurde: "Gegen die Strömung. Reise ins Ungewisse", ein künstlerisches Plädoyer für Reisen, auf denen das Ziel erst unterwegs Formen annimmt. Forscher und Künstler kennen sich damit aus.

Wer sich auf solch eine Reise begibt, dem ergeht es womöglich wie dem Betrachter von Kris Martins schwarzer Anzeigetafel, wie man sie von Flughäfen und Bahnhöfen kennt. Anders als dort bringt hier das gelegentliche Klackern der Buchstaben-Täfelchen keine Abfahrtszeiten und Ziele hervor. Der belgische Künstler hält sein schwarzes Monstrum dem Betrachter als imaginären Spiegel vor: Schau selbst, wohin du willst!

Auch der Kanadier Rodney Graham besteht darauf, dass wahres Reisen Abenteurertum ist, Auf- und Ausbruch zugleich. In einem 35-Millimeter-Film, der einem Western nachempfunden ist, reitet er als Cowboy verkleidet ziellos durch die Prärie, erzählt in einem Lied davon, wie er zu einem einsam Umherziehenden wurde und reiht sich damit in das Ambiente der Ausstellung ein. Darin bewegt sich auch die isländische Sängerin Björk. In ihrem Musikvideo "Wanderlust" gleitet sie inmitten riesiger Yaks durch eine Berglandschaft aus nordischen Mythen und Heroic Fantasy.

Da nähme sich der Italiener Daniele Cudini mit dem traditionellen Medium Malerei wie ein Traditionalist aus, wäre sein großformatiges Gemälde "Zanzibar" nicht auch von Wesen aus der Retorte bevölkert. Eine monsterhafte, quietschbunt gekleidete Familie - Vater, Mutter, Tochter und Sohn - blickt die Betrachter unverwandt, aber auch ein wenig treuherzig an. Woher kommen sie? Wohin gehen sie? Und was ist der Sinn? Auch hier lädt die "Reise ins Ungewisse" zum Philosophieren ein.

Nicht immer geht es so beschaulich zu. Der aus Venezuela stammende, in New York lebende Javier Téllez ist durch eine Video-Projektion vertreten, in der er den Schausteller David Smith über die Grenze zwischen Mexiko und den USA katapultieren lässt. Beim Abflug winkt Smith den Zuschauern am Strand mit seinem US-Pass zu, nach der Landung auf der anderen Seite der Grenze nimmt ihn die amerikanische Grenzpatrouille in Empfang. "Einer flog über das Nichts", so lautet der Titel dieser Performance in Anspielung auf den Film "Einer flog über das Kuckucksnest". Die Aktion will darauf hinweisen, wie hart das Leben vieler mexikanischer Arbeiter ist, die auf der Suche nach einem besseren Leben illegal über die Grenze wechseln - ein hartes politisches Thema, über dem zugleich eine Utopie schwebt: Reise ins Ungewisse, am liebsten in eine bessere Welt.

Wie sehr das nicht touristische Reisen in unserer Vorstellung mit Schifffahrtsmetaphern verbunden ist, davon zeugt ein Textbild des Amerikaners Lawrence Weiner: "Wir sind Schiffe auf See, nicht Enten auf einem Teich." Auch der Düsseldorfer Fotografiekünstler Thomas Ruff macht sich die Schifffahrt zunutze - die Raumschifffahrt. Er verarbeitete schwarzweißes Bildmaterial aus dem Internet-Archiv der Nasa zu farbigen Darstellungen der Mars-Oberfläche und nimmt damit eine, wenn überhaupt, erst künftig mögliche bemannte Reise zum Mars technisch vorweg.

Der Amerikaner Bruce Nauman lenkt in seiner von der Decke hängenden Skulptur "Hund, der sich in sein Hinterteil beißt" den Blick zurück auf die Erde: ein verstümmeltes Geschöpf, das nicht vom Fleck kommt und dem Reisen auf immer verwehrt sind.

Fritz Emslander und Stefanie Kreuzer haben bei ihrer "Reise ins Ungewisse" bemerkenswert viele Lebenswelten ins Spiel gebracht. Am Ende des Rundgangs steht denn doch eine Gewissheit: dass Morsbroich mit solchen Ausstellungen auf dem richtigen Kurs ist.

(B.M.)
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