Gastbeitrag von Intendant Wilfried Schulz "Düsseldorf muss sein Theater schützen"

Düsseldorf · In der Landeshauptstadt ist eine heftige Debatte über die Zukunft des Schauspielhauses entbrannt. Nun meldet sich der Intendant des Hauses zu Wort.

 Wilfried Schulz ist Autor dieses Gastbeitrags.

Wilfried Schulz ist Autor dieses Gastbeitrags.

Foto: End

Als ich vor zwei Jahren meinen Vertrag unterzeichnet habe, waren alle, die Stadt Düsseldorf, das Land NRW und große Teile der Öffentlichkeit, sich einig, dass es aller Anstrengungen wert ist, dem Düsseldorfer Schauspielhaus eine Zukunft zu geben. Eine Zukunft, die es in den Mittelpunkt einer spannungsreichen großstädtischen Gesellschaft stellt, die seiner historischen Bedeutung als einem der großen deutschen Theater der Nachkriegsgeschichte gerecht wird und es gut positioniert auf der Landkarte der wichtigen künstlerischen Orte des deutschsprachigen Theaters.

Wir haben 2014 begonnen zu planen, viele Künstler und Theatermenschen haben sich für unser Vorhaben begeistern lassen; eine schöne, aber auch komplizierte Herausforderung. Dann wurde es scheibchenweise — von Monat zu Monat — noch komplizierter.

Zuerst wurde deutlich, dass für Jahre eine Großbaustelle direkt vor der Haustür arbeiten würde, dann, dass das Schauspiel vorübergehend ausziehen müsse. Erst hieß es neun Monate, dann eineinhalb Jahre, dann zweieinhalb Jahre bis Herbst 2018. Die Vollendung der Baustelle direkt vor der Tür (und direkt heißt hier: Fundament an Fundament) wird mittlerweile auf Ende 2019 prognostiziert. Erst dann wird das Projekt Kö-Bogen II inklusive Parkgarage fertiggestellt sein.

Und jetzt ist seit einigen Tagen in Frage gestellt, ob das Düsseldorfer Schauspielhaus überhaupt jemals in das Düsseldorfer Schauspielhaus zurückkehren wird. Eine rasante Entwicklung, deren Dramatik sich nicht leugnen lässt.

Wir haben aufgrund der sich permanent verändernden Verhältnisse immer wieder neue, der Situation angepasste Spielpläne entworfen. Wir haben ein Konzept der Stadtbespielung entwickelt und sind mit Schwung (d.h. mittlerweile vierzehn Premieren), großer Resonanz und riesigem Zuschauerinteresse in die Spielzeit gestartet. Die Stadt kommt zu ihrem neuen Ensemble ins Zelt und ins "Central", ist neugierig, macht Liebeserklärungen, genießt die Vitalität und hat die Krise satt.

Just in diesem Moment wird noch einmal das Ganze und die Zukunft des Hauses in Frage gestellt.

Trotzdem: Ich halte ein städtebauliches Projekt mit einem architektonisch anspruchsvoll formulierten Kö-Bogen II, einer hohen Spannung zwischen Dreischeibenhaus und Schauspielhaus als Architektur-Ikonen einer vorwärtsstrebenden Moderne, einem neuen Gustaf-Gründgens-Platz, der von den Bürgern zwischen Kunst und Konsum alltäglich selbstverständlich genutzt wird, einer Transparenz der Einkaufszone hin zum Hofgarten, einer flanierend erlebbaren Kulturmeile von Schauspielhaus zu Oper zu Kunstsammlung NRW — ich halte solch ein Vorhaben für eine großartige Chance zur Neudefinition eines Stadtzentrums.

Damit die zweieinhalb Jahre, die das Schauspielhaus allein aufgrund der Kö-Bogen-II-Baustelle von der Stadt offensichtlich unbeeinflussbar geschlossen bleiben muss, genutzt werden können, damit der Sanierungs- und Modernisierungsbedarf des Hauses einmal systematisch und unaufgeregt erfasst wird, damit das Haus im Jahre seines 50. Bestehens nicht ein Schandfleck auf einem neuen schicken Platz ist, haben Stadt, Land und Nutzer eine Studie in Auftrag gegeben. Sie liegt jetzt vor.

Neben der sogenannten TGA-Sanierung (so wird die mittlerweile marode Betriebstechnik bezeichnet), die etwa 20 Millionen Euro kostet, kommt noch einmal mindestens dieselbe Summe für notwendige Fassaden- und Dachsanierungen, für kaputte Fußbodenheizungen und stillgelegte Fahrstühle, für vernünftige Beleuchtungen und Pflasterungen, für eine zeitgemäße Kassensituation und eine Öffnung des Hauses zum neuen Gustaf-Gründgens-Platz. Das ist natürlich unangenehm, war aber nicht überraschend. Jetzt gilt es eine Entscheidung zu fällen, ob die Stadt Düsseldorf mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus in die Zukunft gehen möchte. Das ist nicht einfach, erfordert Kreativität und Einsatz, vor allem aber eine Haltung.

Ich appelliere an die Öffentliche Hand, das Düsseldorfer Schauspielhaus zu schützen. Unter allen Aspekten - Geschichte, Architektur, gesellschaftliche Relevanz und Notwendigkeit, Vernunft der Nutzung, städtebauliche Zukunft - gehört das Düsseldorfer Schauspielhaus in das Düsseldorfer Schauspielhaus. Der Oberbürgermeister ist Vorsitzender des Aufsichtsrates und nicht nur vertritt er damit die Interessen des Düsseldorfer Schauspielhauses, sondern ist auch sein oberster Schutzherr. Das Land NRW beteiligt sich mit 50 Prozent an den laufenden Kosten des Betriebes, weil es eine entscheidende kulturelle Institution in seiner Landeshauptstadt ist. Umfang, Finanzierung und Zeitachse von Sanierung und Modernisierung sind natürlich professionell zu diskutieren. Es gibt dafür durchaus vernünftige Beispiele aus anderen Großstädten. Was nicht in Frage gestellt werden kann, ist die Rückkehr des Theaters in sein Gebäude und sein Erhalt als Düsseldorfer Schauspielhaus, seine kulturelle Identität und uneingeschränkte Nutzung durch das Düsseldorfer Schauspielhaus. Ich bezweifle sehr, dass dies mit einem Investorenmodell gewährleistet wäre.

Das "Central" kann keine Lösung von Dauer sein

Gibt es Alternativen? Das "Central" ist ein tolles Proben- und Werkstattzentrum in interessanter Lage. Es ist jedoch weder baulich zugeschnitten noch eingerichtet auf einen Spielbetrieb. Es hat weder die Bühnentechnik noch die Zuschauerkapazität, weder die Akustik noch die Zugänglichkeit, weder die Transportwege noch die Raumkapazitäten für den repertoiremäßigen Spielbetrieb eines modernen Stadttheaters in einer Landeshauptstadt mit weit über einer halben Million Einwohner.

Düsseldorf würde sich mit solch einer Lösung aus dem Verband der wichtigen großen Theaterstädte wie Hamburg, Berlin, München, Stuttgart, Frankfurt, auch Hannover oder Dresden verabschieden. Geschweige denn Wien oder Zürich. Viele dieser Städte haben ein bis zwei große Stadt- oder Staatstheater plus einen oft von Industrie-Architektur geprägten Ort für eine alternative Kunstszene, der dem "Central" vergleichbar ist.

Sicher, eine andere Alternative wäre ein hochwertiger Neubau, was jedoch niemand mit Geschichtsbewusstsein, mit ökonomisch-haushalterischer und städtebaulicher Vernunft ernsthaft diskutieren wird.

Wir, viele langjährige Mitarbeiter und viele neue Künstler und Ideengeber, arbeiten sehr gerne an der Zukunft des Düsseldorfer Schauspielhauses. Aber es gibt eine Grenze, die nicht überschritten werden sollte, da sonst die Würde dieses Hauses und dieser Institution verletzt wird. Wir versuchen mit guter Laune und Charme mit der schwierigen, uns überraschenden Interimssituation des Hauses umzugehen. Aber die Energie und die Kraft, Provisorien kreativ zu bespielen, hängt auch entscheidend davon ab, dass man ein Licht am Ende des Tunnels sieht.

Lassen Sie mich ein Bekenntnis ablegen: Ich glaube, dass die heftig zerrissene und sich überfordert fühlende Gesellschaft in den nächsten Jahren nichts mehr braucht als gemeinsame Orte der Reflexion, des Diskurses, des Aushaltens und Erprobens von Differenz und der Infragestellung und Vergewisserung von Identität. Auch ganz banal: der nicht-aggressiven, verbindlichen Kommunikation auf Augenhöhe. Orte an denen man spielerisch, tiefgründig oder bis ins Absurde verdreht fragt: Wie wollen wir leben?

Diese Frage muss man stellen als Individuum, als Citoyen, als Handelnder und Verantwortlicher. Die gemeinsamen Orte der Kunst und Kultur bieten sich hierfür an, öffnen sich zunehmend und stellen sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung. Es ist eine gute Herausforderung, dass auch das Theater formulieren muss, wozu es gebraucht wird. Der nicht dem Konsum und dem Renditeversprechen gewidmete öffentliche Raum, der Raum der direkten Begegnung wird immer kleiner; es gilt ihn zu verteidigen. Von den verantwortlichen Politikern, der Stadtgesellschaft, dem Publikum, den Künstlern und den Mitarbeitern. Gemeinsam.

Bei dem mittlerweile fast vergessenen Autor Franz Xaver Kroetz heißt es: "In die Zukunft muss man investieren, damit sie eine wird." Ich fordere hier nicht die Einhaltung von Versprechen und Zusagen, Verträgen und Verabredungen ein. Ich wünsche mir lediglich die bürgerliche Vernunft und die eigentlich selbstverständliche Verantwortung für Kunst und Kultur in einer großen, realitätsbewussten und zukunftszugewandten Landeshauptstadt. Anders gesagt: das Interesse an einer sehr vernünftigen Vision.

Unser Gastautor Wilfried Schulz ist seit August 2016 Generalintendant des Düsseldorfer Schauspielhauses.

(RP)
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