„Rubberband“ Fürchterliches Album von Miles Davis

Düsseldorf · Der Trompeter hatte das „Rubberband“-Material 1985 eigentlich verworfen. Nun erscheint es dennoch.

 Miles Davis im Jahr 1986.

Miles Davis im Jahr 1986.

Foto: Sygma via Getty Images/Suzanne Rault Balet

Diese Platte ist das größte Ärgernis der Saison, und wenn ihre Veröffentlichung überhaupt einen Sinn hat, dann den, darauf hinzuweisen, dass Verwandte echt schlimm sein können. Verantwortlich für diese Leichenfledderei ist nämlich der Neffe von Miles Davis, er heißt Vince Wilburn jr., und der Onkel liebte ihn wie einen Sohn, schenkte ihm ein Schlagzeug und ließ ihn als jungen Kerl in seiner Band spielen. Miles Davis befand dann aber, dass der Junge nicht ganz so talentiert sei, wie man es sich gewünscht hatte. Er verabschiedete ihn aus seiner Gruppe, und vielleicht ist das hier die Rache.

Aber kurz mal die Erregung herunterregeln und von vorne anfangen: Gerade ist das Album „Rubberband“ erschienen; Miles Davis arbeitete 1985 daran, kurz nachdem er von Columbia zu Warner gewechselt war. Er wollte und sollte sich einen jüngeren Markt erschließen, der größte Jazzer aller Zeiten sollte ein Popstar werden. Also experimentierte man mit HipHop und Soul, mit Synthesizer und elektronischem Bass. Man schrieb Texte für Chaka Khan und Al Jarreau, und nach drei Monaten freien Arbeitens zog man den Stecker und sagte: Das ist nicht das Richtige für Miles. Er nahm dann mit Marcus Miller „Tutu“ auf, und das ist eine gute Platte.

Die Tapes mit den Fragmenten der „Rubberband“-Sessions lagerten seither im Tresor, und wenn man Verwesung und Korrosion mal braucht, sind sie nicht da. Vince Wilburn jr. kramte sie hervor. Er hörte, dass sie tatsächlich nicht so der wahre Jakob sind, deshalb fuhrwerkte er darin herum. Er engagierte Sänger und spritze R’n’B-Infusionen in die Stücke, er pimpte und tunte, und was dabei herauskam, hört man im Stück „Paradise“: Fußgängerzonen-Getrommel, allerbilligste spanische Folklore und dazu Steeldrums, die Karibik nur behaupten und in Wirklichkeit an Pauschalreisen-Werbespots erinnern: Nix wie weg! Davis’ Trompete diffundiert orientierungslos über diesem Abgrund an Geschmacklosigkeit, und man hofft, dass keiner der adressierten „jungen Leute“ diese Musik hört, denn dann wären sie auf ewig für den Jazz verloren.

Die 80er Jahre waren ohnehin schwierig für Miles Davis. 1980 kehrte er nach fünf Jahren Pause zurück, und es heißt, dass er danach nie mehr so recht zu seinem Ton gefunden habe, was aber nicht stimmt. Er war fasziniert von Pop und HipHop, und wer die Produktionen jener Jahre unvoreingenommen hört, findet in „We Want Miles“ (1982), „Tutu“ (’86) und „Aura“ (’89) einige große Momente. Wer indes das Genie dieses Kerl würdigen möchte, sollte neben dem Klassiker „Kind Of Blue“ (1959) die progressiven Meisterwerke „In A Silent Way“ (’69), „Jack Johnson“ (’71), „On The Corner“ (’72) und „Water Babies“ (’76) hören. Das ist das Tröstliche: Eine Platte wie „Rubberband“ kratzt nicht am Mythos dieses Giganten, er ist ja viel zu groß.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort