Bischof Franz-Josef Overbeck zur Kirchenkrise „Jede Form von Diskriminierung muss beseitigt werden“

Interview | Essen · Die katholische Kirche steckt inzwischen in einer Existenzkrise. Reformen sind nötiger denn je, wie etwa zur Sexualmoral. Dazu gehört für den Ruhrbischof auch eine neue Wahrnehmung und Akzeptanz von Diversität.

 Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck bei einer Mahnwache aus Anlass des Missbrauchsgutachtens des Erzbistums von München und Freising.

Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck bei einer Mahnwache aus Anlass des Missbrauchsgutachtens des Erzbistums von München und Freising.

Foto: AFP/INA FASSBENDER

In einem Brief an die kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres Bistums haben Sie erklärt, dass die sexuelle Orientierung kein Kündigungsgrund mehr sein soll; queere Menschen und wiederverheiratete Geschiedene haben danach keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu befürchten. Wie kann es im kirchlichen Abreitsrecht weitergehen?

Overbeck  Das kirchliche Arbeits- und Dienstrecht ist ja immer wieder verändert worden – zuletzt 2015. Es war damals schon klar, dass wir die nächsten Schritte auch gehen müssen. In diesem Prozess hat die Initiative Outinchurch mit bewegenden Zeugnissen auf die Not von Mitarbeitenden mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen in der katholischen Kirche aufmerksam gemacht, die sich oft gezwungen sahen, ihre Partnerschaft zu verheimlichen – und zwar aus Angst, ihre Arbeit zu verlieren. Diese Not wollen wir jetzt beenden und dazu hat die 3. Synodalversammlung des „Synodalen Weges“ der Kirche in Deutschland am vergangenen Wochenende mit großer Mehrheit in erster Lesung einen entsprechenden Beschluss gefasst. Das heißt erst einmal: Wir werden uns daran halten, dass wir die entsprechenden Passagen im kirchlichen Arbeits- und Dienstrecht nicht mehr anwenden. Das ist uns schon jetzt möglich.

Der Impuls der Laien-Initiative hat sichtbare Spuren in der Kirche hinterlassen.

Overbeck OutInChurch hat eine solche Bewegung ausgelöst und deutlich gemacht, dass wir handeln müssen. Es ist wichtig, die durch unser Arbeitsrecht entstandenen Leidensgeschichten vieler Menschen anzuerkennen und eine Kultur der Angst zu überwinden – verbindlich und auf Dauer rechtssicher. Es ist auch wichtig, ein Solidaritätszeichen an alle zu senden, die trotz dieser Erfahrung von Leid- und Ungerechtigkeit dennoch Teil dieser Kirche geblieben sind – gerade angesichts der schwierigen Lage, in der wir uns insgesamt befinden. Denn es ist durchaus berechtigt, inzwischen von einer Existenzkrise der Kirche zu sprechen.

Aber wenn es zu Diskussionen über Kirchenreformen kommt, sind es fast immer die Gläubigen gewesen, die die Impulse oder Denkanstöße dazu gegeben haben. Nie die Institution Kirche selbst.

Overbeck Es ist wohl so, dass solche Impulse oft aus dem sehr konkreten Leben kommen, das stimmt. Die Entwicklungen aber sind differenzierter zu sehen, etwa in den großen Debatten der Moraltheologie in den vergangenen Jahrzehnten. Der Blick auf die jetzt neu wahrgenommenen Wirklichkeiten – die es allerdings immer schon gab – war schon da. Eine neue Bewertung all dieser Fragen hängt dann sehr oft mit dem sehr konkreten Leben zusammen. Ein wichtiger Impuls dazu kommt aus dem schrecklichen Missbrauchsskandal mit seinen unendlichen Abgründen. Dazu gehört aber auch die viel stärkere Wahrnehmung von Diversität. Es ist unbedingt notwendig, dass wir diese Erfahrungen ernst nehmen und diese Entwicklungen auch als Kirche in Gang bringen. Das betrifft im Übrigen auch uns Bischöfe. Es gibt eben nicht nur Kontinuität, sondern auch Zeiten echter Umkehr.

Können Sie eine persönliche Entwicklung für sich selbst beschreiben? Vor zwölf Jahren nannten Sie in der Talkshow von Anne Will Homosexualität noch eine Sünde.

Overbeck Heute werbe ich für eine neue Perspektive, die ich vor allem aus vielen Gesprächen mit einzelnen Menschen für mich gefunden habe. Die Lebenserfahrungen und tiefen Empfindungen derer, die homosexuell oder transident sind, haben mich sehr berührt. Ich bin deshalb zutiefst davon überzeugt, dass die kirchliche Lehre diese konkreten Lebenszeugnisse und Lebenserfahrungen aufgreifen und integrieren muss. Da ist bei mir persönlich viel geschehen.

Homosexualität würden Sie heute nicht mehr als Sünde bezeichnen?

Overbeck Nein, denn ich habe durch die vielen Gespräche bessern verstanden, dass Liebe in partnerschaftlicher Verantwortung nicht einzig abstrakt naturrechtlich zu behandeln ist, sondern eine Frage der Beziehung, des Respekts, der gegenseitigen Achtung und der tiefen inneren Gefühle und Empfindungen ist. Das schlichte Wiederholen der bisherigen lehramtlichen Bewertung von Homosexualität führt lediglich dazu, dass sich Menschen gekränkt und verletzt abwenden und sich nicht verstanden wissen.

Wie nehmen Sie in dieser Zeit des Umbruchs denn die Stimmung in der Deutschen Bischofskonferenz wahr?

Overbeck Zunächst ist die Bischofskonferenz eine diskussionsfreudige Versammlung, auf der einen Seite. Auf der anderen Seite gibt es eine Gruppe von Bischöfen, die die Beschlüsse des Synodalen Wegs für grundsätzlich falsch halten und sie in eine andere Richtung revidieren wollen. So ergibt sich in einer 2000 Jahre alten Institution ein ungeheurer Spannungsbogen. Dennoch positioniere ich mich zu den Kirchenreformen klar und werde das auch künftig tun.

Manchmal scheint es, als sei der Synodale Weg mit seinen Reformbeschlüssen zu schnell für die katholische Kirche. Und ist das Tempo auch ein Unmuts-Zeichen für den Reformstau in der Kirche?

Overbeck Das ist auf jeden Fall so. Die katholische Kirche steht vor einer neuen großen Bewährungsprobe, nämlich Einheit neu zu denken und konkret neu zu leben. Es kann auf keinen Fall mehr eine Form von Einheitlichkeit sein, denn dazu sind die Kulturen und Gesellschaften zu verschieden. Das wird einer Weltkirche mit 1,3 Milliarden Katholiken noch viele große Herausforderungen bescheren. Dazu gehören dann auch die verschiedenen Formen von Sexualität und Identität. Was wir zur Würde des Menschen als freies Geschöpf Gottes mit Blick auf Vielfalt der sexuellen Orientierung und Identität sagen, ist in vielen Ländern keinesfalls anerkannt und wird bekämpft. Auch das wird eine enorme Herausforderung für das Papstamt werden. Eines muss aber klar sein: Mit Blick auf die Würde der Person gelten überall jene fundamentalen Rechte, die auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil klar und universell verbindlich formuliert worden sind. Jede Form einer Diskriminierung in den gesellschaftlichen und kulturellen Grundrechten der Person muss überwunden und beseitigt werden, da sie dem Plan Gottes widerspricht.

Als Sie Ihr erstes Smartphone bekamen und ein Mitarbeiter es Ihnen einrichtete, war die erste Meldung der Rücktritt von Benedikt XVI. …

Overbeck … genauso ist es gewesen, es war der 11. Februar 2013, der Rosenmontag. Ich werde es nie vergessen.

Und auch dieser Rücktritt hat Spuren hinterlassen. Sie sprachen von den neuen, künftigen Herausforderungen für das Papstamt. Wie hat der Rücktritt damals schon das Amt verändert?

Overbeck Mit dem Rücktritt von diesem Wahlamt auf Lebenszeit hat Benedikt auf die eigenen Begrenzungen und die eines solche Amtes aufmerksam gemacht. Was ja ein Segen ist. Dieser Schritt lehrt zudem, dass die Herausforderungen für solche Aufgaben so riesig sind, dass sie die Kräfte eines Menschen oft und in vielfacher Weise bei weitem überschreiten.

Wie hat sich Ihr Blick auf Benedikt mit der Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens von München und Freising, in dem ihm als damaliger Erzbischof Fehler vorgeworfen werden, verändert?

Overbeck Ich habe ihn immer sehr als einen Theologen geschätzt, der Wichtiges für die Kirche gesagt und getan hat. Das wird als sein großer Verdienst in die Geschichte der Kirche eingehen. Man darf auch nicht unterschätzen, dass er als Papst manch Wichtiges für die Aufklärung von Missbrauch in der Kirche unternommen hat. Gleichzeitig scheint mir, dass er noch in einer Zeit lebt, die von anderen Gewissheiten und Selbstverständlichkeiten geprägt war als jene, in der wir als Kirche in Deutschland heute leben.

Wie haben Sie das Antwortschreiben Benedikts auf die Vorwürfe des Missbrauchsgutachten wahrgenommen?

Overbeck Erst einmal ist es wichtig, sehr transparent zu erklären, warum er damals so gehandelt hat, wie er gehandelt hat. Heute ist unzweifelhaft klar: Die Perspektive der Betroffenen muss im Mittelpunkt stehen. Von ihnen aus muss die ganze Wirklichkeit beschrieben werden. Nur auf Grundlage dieser Einsicht können wir wirklich erkennen, wo wir Fehler gemacht haben und unserer Verantwortung nicht gerecht geworden sind. Diesen Kriterien müssen wir zuerst genügen, erst dann folgen die anderen.

Wie schwer fällt es einem geweihten Menschen, eigene Schuld einzugestehen? Fällt es schwerer als anderen Menschen?

Overbeck Wenn man das Amt des Priesters und des Bischofs einlinig so begreift, scheinbar stets gültige Wahrheiten in der Lehre unbedingt zu bewahren und durch die Zeiten zu tragen, kann es gut sein, dass es schwerer wird, sich Fehler einzugestehen.

Ans Ruhrbistum grenzt das Erzbistum Köln. Dorthin will Kardinal Rainer Woelki am Aschermittwoch trotz anhaltender Kritik zurückkommen. Wie würden Sie an seiner Stelle entscheiden?

Overbeck Ich wünsche Kardinal Woelki und dem Papst gute Entscheidungen, die vor allem dem Wohl des Volkes Gottes der Kirche von Köln dienen.

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