Europa-Wettbewerb Die Kultur der Rübe

Berlin · Hildesheim legt eine Rübe aufs Pult, Hannover versucht es mit Englisch und Schweigen: Acht Städte wetteifern um den Titel „Kulturhauptstadt Europas“ im Jahr 2025.

 Thomas Harling vom Bewerbungsbüro Hildesheim bei seiner Bewerbungsrede für die Kulturhauptstadt.

Thomas Harling vom Bewerbungsbüro Hildesheim bei seiner Bewerbungsrede für die Kulturhauptstadt.

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Wenn es nur um die einfache Herkunft des Wortes Kultur ginge, dann wäre Hildesheim der Titel der „Kulturhauptstadt Europas 2025“ kaum noch zu nehmen. Unter cultura verstanden die Römer ursprünglich die Feldarbeit, und da lag Thomas Harling vom Hildesheimer Bewerbungskomitee ganz nah dran, als er mit einer dreckigen Zuckerrübe ans Pult trat und das „Feldkulturerbe“ seiner Stadt beschwor: die Rübe, die die Entwicklung der Stadt erst möglich gemacht habe. Doch auch die sieben anderen Bewerberstädte gehen nicht ohne Hoffnung in Stufe zwei des Wettbewerbs, der in einem Jahr entschieden sein wird.

Außer der Feldfrucht stand Hildesheim für weitere hübsche Wortspiele. In Anlehnung an Shakespeare fragte Harling zunächst „The beet or not the beet“ und erweiterte das Motto bald auf „beets and roses“, also Rüben und Rosen, verbunden mit den im Englischen ebenfalls ähnlich klingenden Wörtern für Straßen und Wurzeln.

Die andere, ebenfalls schon in römischer Zeit angelegte Wortherkunft der cultura als das Beackern der Gedanken, verfolgte Hannover mit einer völlig aus dem Rahmen fallenden Präsentation im Haus der Kultusministerkonferenz in Berlin: Schauspielerin Hannah Gibson präsentierte die Bewerbung aus der niedersächsischen Hauptstadt in gepflegtestem Englisch. Sie ging nicht auf Hannover selbst, sondern auf die Stärken von Städten allgemein ein und folgte einem Gag von John Cage, der einst ein Musikstück komponierte, das nur aus dem Aufklappen und Zuklappen des Flügels bestand. Als es in ihrer dreiminütigen Präsentation um „Gedanken von Anderen“ gehen sollte, schwieg Gibson einfach fast eine Minute lang.

Eher die herkömmlichen Varianten von Bewerbungsreden verfolgten die anderen sechs Städte. Die Nürnberger Präsentation fragte nach den Assoziationen, die die Menschen mit dem Namen ihrer Stadt verbinden - von Würstchen und Lebkuchen über Spielzeug bis hin zu den beklemmenden Erinnerungen an die Stadt der nationalsozialistischen Bewegung. Konsequent will die Frankenmetropole sich als Kulturhauptstadt aus der Vergangenheit nach vorne bringen.

Diesen drei Bewerberstädten aus dem Westen stehen gleich fünf aus dem Osten gegenüber. Darunter sind drei aus Sachsen: Chemnitz, Dresden und Zittau sehen in dem europäischen Wettbewerb die Chance, auch gegen Vorurteile voranzukommen, die mit ausländerfeindlichen Tendenzen in ihren Regionen verbunden werden. Alle drei Vertreter dieser Städte beschworen ihre Offenheit und Vielfalt. Chemnitz wählte die Aufbrüche, die mit neuen Namen, neuen Gesellschaftssystemen und neuen Anfängen verbunden sind, Dresden die Projekte, die - auch in Abgrenzung zu Pegida - aus der Bürgerschaft entstehen, und Zittau versteht sich im Dreiländereck mit Polen und Tschechien als Brückenbaubewerber.

Gera sieht sich als die Stadt mit großem historischen Erbe, in der Europas Kultur in der Provinz ganz konkret werde. Und Magdeburg will, anknüpfend an das Halbkugeln-Experiment des Otto von Guericke zum Vakuum, „aus der Leere heraus“ kommen. Bis Mitte Dezember wird eine europäische Jury nun eine Auswahl der Bewerber treffen, die ihre Konzepte anschließend detaillierter ausarbeiten und sich im September nächsten Jahres vor Ort einer reisenden Kommission stellen dürfen. Im folgenden Herbst steht dann fest, welche deutsche Kommune im Jahr 2025 den Titel „Kulturhauptstadt“ tragen und - neben einer Stadt aus Slowenien - Besucherströme und einen 1,5-Millionen-Förderpreis bekommen wird.

Bisher haben es deutsche Städte drei Mal zu dem Titel gebracht: Nach Berlin 1988 waren das Weimar 1999 und zuletzt Essen im Jahr 2010. Eine Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass Kulturhauptstadtjahre der ausrichtenden Kommune „nachhaltig positive Auswirkungen“ bringen. Aber der Chef der Kultusministerkonferenz, Carsten Brosda (Hamburg), sagte auch den schon im Dezember ausscheidenden Bewerbern voraus, von ihrer Beteiligung „viel mitnehmen“ zu können. Allen stehe bis dahin ein „großartiges Abenteuer“ bevor.

Die aus Akteuren der europäischen Kulturszene bestehende Jury wird nun aufgrund der 60seitigen Bewerbungsschrift nach sechs Kategorien urteilen und dabei die Langzeitstrategie, die europäische Dimension, die künstlerische Qualität, die Umsetzungsfähigkeit, die Einbindung der Gesellschaft und die Steuerungsstrukturen begutachten - und sich dann eine weitere Präsentation in Berlin anschauen. Es könnte sein, dass dann mehr verlangt sein wird als Schweigen und Rüben.

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