"Frauen über 40 sind nicht spießig"

Interview Katja Riemann (47) zeigt in der Kino-Komödie "Die Relativitätstheorie der Liebe" gleich in fünf Rollen ihr komisches Talent. Doch spannende Frauenfiguren über 40 hat der deutsche Film ihrer Meinung nach kaum zu bieten. Ein Gespräch über das Schauspielerleben.

Haben Sie sich als Kind schon gern verkleidet?

Riemann Total ungern. Ich habe auch Fasching gehasst, das fand ich nur anstrengend. Aber interessant, dass Sie das fragen, weil man meinen könnte, dass Menschen deswegen Schauspieler werden.

Warum sind Sie denn Schauspielerin geworden?

Riemann Weil mich Menschen interessieren, innere Vorgänge. Ich finde es bis heute unheimlich spannend, über das Menschsein nachzudenken, über Situationen und Geschichten. Und es reizt mich, das dann darzustellen.

Auch wenn Sie sich als Kind nicht gern verkleidet haben – in Ihrem aktuellen Film "Die Relativitätstheorie der Liebe" müssen Sie ständig in neue Hüllen schlüpfen. Wollten Sie der Welt zeigen: Das kann ich auch?

Riemann Nein, ich hab einen tollen Film angeboten bekommen, darum hab' ich zugesagt.

Kein strategisches Kalkül?

Riemann Nein, das kann man sich in Deutschland auch gar nicht leisten. Denn das würde ja bedeuten, dass man täglich in allen möglichen Genres tolle Rollen mit allen möglichen Facetten angeboten bekäme, unter denen man nur auswählen müsste. Das ist aber nicht so. Diesen Film hätte niemand abgelehnt.

Es gibt also im deutschen Film nicht genug spannende Angebote für Sie?

Riemann Ich bin über 40. Und wir sind nicht in Frankreich. In Deutschland gibt es leider immer noch ein merkwürdiges Bild von Frauen um die 40. Das finde ich sehr betrüblich, weil ich nun mal zu dieser Generation gehöre, viele Frauen um die 40 kenne und weiß, wie die drauf sind. Das ist die Generation der Grünen-Wähler, der Demonstranten und Hausbesetzer. Im Film tragen diese Frauen aber immer Kostümchen, sind frustriert, verbittert, verheiratet, haben sexuelle Probleme, sind nicht nett zu ihren Männern und haben erwachsene Söhne, die Robert heißen. Ich bin nicht verheiratet, war es nie, aber gerade in Filmkreisen gibt es so eine bürgerliche Sichtweise auf meine Generation. Dabei müsste man spannende Frauenfiguren in meinem Alter gar nicht erfinden – man müsste nur hingucken.

Was macht Sie zufrieden?

Riemann Ausschlafen. Mit meinem Mann, meinem Kind, meinen Freunden zusammen sein. Ich bin gut darin, zu Hause zu sein. Ich mag das, weil ich so selten zuhause bin. Aber natürlich weiß ich auch, dass es heutzutage ein Privileg ist, einen Beruf zu haben, den man mag. Die Leute glauben ja immer, ich sei privilegiert, weil ich so viel Geld verdiente wie Angelina Jolie. Schön wär's. Aber ich bin privilegiert, weil ich einen Beruf habe, bei dem ich nicht müde, nicht satt werde. Derzeit entwickle ich gemeinsam mit meinem Gitarristen Arne Jansen eine neue musikalische Lesung. Das ist schön und aufregend. Abende mit Musik und Literatur zu konzipieren, das macht mich zufrieden. Auch wenn Zufriedenheit immer nach Saturiertheit klingt.

Passt Ihnen "erfüllt sein" besser?

Riemann Ja, denn man jagt ja immer etwas hinterher. Ich bin nie zufrieden, wenn ich eine Vorstellung gespielt habe. Ich überlege immer, wie es besser hätte gehen können. Vielleicht geht es um die Auseinandersetzung mit etwas, das einen interessiert und das andere Menschen begeistern kann. Ich mag Teamarbeit. Ich kann gar nichts allein. All das – ja, ich glaube, dass man deswegen betet, weil man sich eben manchmal auch bedanken muss. Auch wenn meine Karriere nicht nur glatt lief. Aber inzwischen bin ich eben so alt, dass man mal eine andere Sau durchs Dorf hetzt.

Wann hat man Sie gehetzt?

Riemann Ach, viele Jahre lang. Eigentlich hat es erst vor ein, zwei Jahren aufgehört.

Woran lag das?

Riemann Während meiner Zeit ist der deutsche Film jenseits von Fassbinder oder Schlöndorff ja erst entstanden. Aber da gab es viele, die dachten, dass man deutsche Filme ganz anders machen müsste. Die wussten mit mir nichts anzufangen.

Dabei haben Sie damals wunderbare Mehrteiler gemacht wie "Regina auf den Stufen". Sind Sie auch eine Regina, die stufenweise ihren Weg macht?

Riemann Nein, ich versuche zu heilen. Das geht natürlich nur durch Rückzug. Und dadurch, dass man künstlerisch neue Dinge ausprobiert.

Sie müssen heilen?

Riemann Ja, wenn man verwundet wird, muss man heilen. Man kann das auch Wunden Lecken nennen, dazu neige ich aber nicht, weil ich nicht selbstmitleidig bin.

Sie wirkten in den vergangenen Jahren mit all Ihren Projekten von Theater über Film bis zur Musik aber nicht gerade wie ein angeschossenes Reh.

Riemann Nein, mit irgendetwas muss man sich ja auch beschäftigen. Man muss ja die Miete reinholen.

Das tun Sie nun mit "Der Relativitätstheorie der Liebe" – haben Sie auch so eine Glücksformel?

Riemann Die Formel für Glück, Liebe und Erfolg, Halleluja?! Das wäre toll, dann bekäme ich den Nobelpreis und hätte ausgesorgt. Aber nein, die Liebesformel muss jeder selbst stets wieder neu entwickeln.

(RP)
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