Bayreuth Castorf vergleicht Bayreuth mit der DDR

Bayreuth · Zensur, unverständliche Sänger-Umbesetzungen und ein Klima wie "im Osten" wirft Regisseur Frank Castorf der Leitung der Wagner-Festspiele vor. Er arbeitet am Grünen Hügel derzeit an der Wiederaufnahme des "Rings des Nibelungen".

Jahre, in denen Bayreuth keine Neuinszenierung anbietet, sind schlecht fürs Image. Die ruhmreiche Werkstatt der Richard-Wagner-Festspiele scheint verwaist, alle sitzen wie auf gepackten Koffern, ohne dass ein Taxi kommt. Das Publikum ernährt sich zu hohen Preisen von Konserven. Deshalb ist Bayreuth in solchen Jahren froh, wenn von auswärts Skandale oder Skandälchen anpoltern. Festspiele müssen im Gespräch bleiben.

Auch 2014 nichts Neues in Bayreuth: "Lohengrin" (2010), "Tannhäuser" (2011), "Holländer" (2012) sowie der von Frank Castorf 2013 inszenierte "Ring". Auf die Wiederbegegnung mit dieser Tetralogie wartet man freilich mit einer gewissen Lüsternheit, denn Regisseur Castorf hatte den "Ring" kurz vor Toresschluss von Wim Wenders geerbt, der aus der Produktion ausgestiegen war, und besaß die Lizenz der Festspielleitung für fast alles. Castorf tobte sich aus, war witzig und dreist und ließ sich am Ende mit stoischem Genuss ausbuhen.

Nun haben, glaubt man Castorf, die beiden Festspielleiterinnen Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier ihre Liberalität über Bord geworfen. Sie hätten ihm aus seiner politisch grundierten Inszenierung ein NPD-Plakat entfernen wollen und diesen Entscheid erst nach heftigem Druck rückgängig gemacht. Außerdem hätten sie Martin Winkler, den Sänger des Alberichs (einer zentralen Figur im "Ring"), ohne Rücksprache durch einen Sängerkollegen ersetzt. Das hat Castorf im "Spiegel" beklagt, dabei aus seinem verbalen Waffenschrank die dickste Wumme herausgeholt und wie ein wütendes Kind in der Gegend umhergeballert. O-Ton Castorf: In Bayreuth habe "die Langeweile gesiegt", es herrsche der Geist des "Stadttheaters". Zugleich agiere die Leitung "unverschämt", im Haus herrschten "Angst, Vorsicht und vorauseilender Gehorsam"; vieles sei "DDR-ähnlich". Das kenne er "aus dem Osten". Er habe bereits Gregor Gysi als Anwalt engagiert, um seine Interessen - und sein Urheberrecht an der Inszenierung - möglicherweise juristisch durchzusetzen. Das kann heiter werden.

Wie ausgerechnet der Berserker Castorf nun als Primadonna mimosa aufs Podium tanzt, das zu beobachten ist ein vergnüglicher Zeitvertreib, der von einem in der "Süddeutschen Zeitung" erschienenen Interview mit Katharina Wagner konterkariert wird. Dort gibt es, zeitlich parallel, präzise eintreffende Gegen-Statements: "Man muss Kollegen, die man engagiert hat, ihre eigene Ästhetik lassen." Oder: "Mein Urgroßvater hätte Freude an Innovationen."

Fast scheint es, als hätten sich die wilde Kathi und der noch wildere Frank vorab geeinigt, einen Krawall ohne Basis zu inszenieren und medial auszutragen. Vielleicht hat sie ihm ein paar Stichworte souffliert: "Du, Frank, wenn du mit dem ,Spiegel' sprichst, sag unbedingt, dass wir ein strunzreaktionärer Laden sind, das liest jeder - und ich habe wieder alle auf dem Baum." Castorf könnte entgegnet haben: "Soll ich denn öffentlich mit Gysi drohen?" Darauf sie: "Klar, das zuckt!" - Dieser Dialog ist zwar erfunden, aber nicht abwegig; die PR-Maschine der Giftmischer-Werkstatt Bayreuth hat schon immer perfekt funktioniert. Auf der Bühne hauen sie sich, hinterher gehen sie einen trinken.

Für uns Unwissende hat Castorf übrigens im Interview erklärt, wie er arbeite: am besten wie "in einer Notsituation", ansonsten aus "natürlicher Faulheit". Dies sei die ideale Grundlage, dass es knalle. Feilen an einer Produktion könne er allerdings nicht, "verfeinern ist für mich nicht möglich". Sein Prinzip: "zerschlagen und neu erfinden". In den Proben habe er jedenfalls "vier Wochen lang versucht, die Radikalität am Leben zu erhalten".

Das ist hübsches Regisseurs-Blabla. In Wirklichkeit wirkte Castorfs "Ring"-Inszenierung schon 2013 in vielen Details ausgefeilt, den Vierteiler kann man ja nicht improvisieren - und kein Faulpelz hätte diese Regie auch nur ansatzweise so subtil hingekriegt. Castorfs "Rheingold", das in einem Motel an der Route 66 spielt und grandios mit filmischen Elementen arbeitet, ist ein ästhetisches Meisterwerk, gegen das man zwanzig, dreißig andere "Rheingold"-Inszenierungen gern eintauschen würde.

"Weißt du, wie das wird?, fragen die Nornen am Beginn vom Ende in "Götterdämmerung". Wir haben für 2014 eine Ahnung: dass Castorf völlig brav gearbeitet hat. Wenn er in diesen Wochen wirklich etwas zerschlagen hätte, wäre das vorab in die Welt gedrungen. In Wahrheit ist Bayreuth nämlich ein Megaphon.

(RP)
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