Francis Poulencs "Stabat mater"

Die späte Rückwendung des französischen Komponisten Francis Poulenc (1899–1963) zum Katholizismus zählt zu den wunderlichen Kapiteln der Musikgeschichte des 20. Jahrhundert. Wie kam es, dass ein frivoler, spitzzüngiger, an Spott und Zynismus interessierter Pariser Dandy, der offen mit seiner Homosexualität kokettierte, plötzlich geistliche Musik komponierte, etwa eine Oper über Nonnen ("Dialogues des Carmélites") oder das "Stabat mater"von 1950?

Nun, Poulenc war immer ein Chamäleon gewesen, in späten Jahren brach aber ein Staudamm. Die Flut äußerte sich indes nicht in tönender Frömmelei, sondern in einer Vermählung von sozusagen schon früher getauften Elementarteilchen seiner Musik: Süße, Lakonie, giftige Farben, anspringende Rhythmik, sphärische Wirkungen. Das "Stabat mater" ist ein Juwel der religiösen Musik; der Komponist spürt den theologischen Kurven beispielhaft nach, Langeweile kommt nie auf.

Die neue Aufnahme aus Stuttgart bringt das Werk nahezu perfekt zum Ausdruck. Die Rundfunkchöre von SWR und NDR verströmen eine grandiose Expressivität, Marlis Petersen (Sopran) singt berückende Soli, das RSO Stuttgart unter Stéphane Denève musiziert glühend. Vervollständigt wird die CD durch ein früheres Werk, das den weitaus bekannteren Poulenc zeigt: das sensationelle Ballett ohne Handlung namens "Les biches". Eine Platte für Entdecker. WOLFRAM GOERTZ

(RP)
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