Formvollendet: Maurizio Pollini am Klavier

Die Deutsche Grammophon hat sämtliche Aufnahme des italienischen Pianisten herausgebracht.

Er sitzt unbeirrbar, fast statisch am Flügel, sein Auge kennt kein rechts und kein links. Seine Finger aber fliegen mit einer Leichtigkeit und einem Turbo-Tempo über die Tasten, als gehörten sie gar nicht zu diesem Körper.

Es sind alte Schwarz-Weiß-Bilder, die den jungen Maurizio Pollini zeigen im Jahr seines wohl größten Überraschungs-Coups. Das war 1960. Der 18 Jahre junge Italiener aus der Künstlerfamilie in Mailand war nach Warschau gereist, um dort am renommierten Chopin-Wettbewerb teilzunehmen. Es kam zur Sensation. Als bisher einziger Italiener gewann Pollini und setzte sich gegen knapp 80 Mitstreiter durch und überzeugte sogar die Pianisten-Legende Artur Rubinstein in der Jury. Der ließ den berühmt gewordenen Satz fallen: "Dieser Junge spielt besser als wir alle." Später hat Pollini den Wahrheitsgehalt dieser Aussage ein wenig modifiziert. Bescheidenheit ziert.

Die Bilder mit dem Chopin-Preisträger sind in eine Video-Dokumentation von Bruno Monsaingon eingeflossen. Der große Musikfilm-Regisseur hat es vor einige Jahren geschafft, Pollini zum Reden zu bringen - vor allem über seine Kindheit. Enthalten ist dieser Film nun in einer umfangreichen Box, die Maurizio Pollinis jahrzehntelanger Labelpartner Deutsche Grammophon zum 75. Geburtstag des Pianisten herausgebracht hat. Um es vorweg zu sagen: Einige Highlights fehlen - weil sie unter anderer Phono-Flagge veröffentlicht wurden. Das gilt für die grandiose Aufnahme der Chopin-Etüden aus dem Wettbewerbs-Jahr 1960; Pollini selbst hatte seinerzeit aus unbekannten Gründen eine Veröffentlichung verweigert (2011 erschien sie bei Testament). Nicht enthalten ist auch ein Mitschnitt des Schumann-Konzerts unter Karajan 1974 in Salzburg sowie Pollinis wohl einzige Lied-Aufnahme - ein Konzert mit Schuberts "Winterreise" und Dietrich Fischer-Dieskau (ebenfalls Salzburg, 1978; Orfeo).

Das sonstige Lebenswerk Pollinis ist jetzt als Köfferchen zugänglich: die frühen elektrisierenden Aufnahmen mit Chopin, die italienisch aufgeladene Deutung von Schuberts Wanderer-Fantasie und die Einspielungen mit Neuer Musik: Schönberg, Boulez, Nono. Denn Pollini war stets ein Verfechter der Moderne, bis zu Stockhausen. Vielleicht hat diese Vorliebe auch seinen Stil geprägt: den glasklaren, rational geprägten Anschlag, seine Fähigkeit zu rhythmischer Pointierung und die entschiedene Absage an alles Seichte, Sentimentale.

Das Repertoire des Maurizio Pollini war immer vergleichsweise schmal. Kaum Russisches, wenig Französisches. Von Mozarts und Brahms' Solowerken: nichts. Keine Note Haydn, keine von Rachmaninow oder Ravel. Dafür etliches von Schumann, einiges von Schubert, viel Chopin und vor allem Beethoven, dessen 32 Sonaten Pollini über fast 40 Jahre hinweg aufgenommen hat und die nun geschlossen vorliegen. Bei aller Euphorie: Die späten Aufnahmen verblassen ein wenig, denn Pollini hat sich, wie auch im Konzert, immer wieder kleine Schludrigkeiten erlaubt. Die Brillanz seines Spiels hat zuletzt gelitten, Milchigkeit breitet sich aus, etwa bei Bach. So darf vor allem der frühe Pollini zu den großen Pianisten unserer Zeit gezählt werden. Er war und ist bis heute ein "Grand'Uomo", neugierig und formvollendet, im Leben wie in der Musik.

Info Maurizio Pollini: Sämtliche Aufnahmen für die Deutsche Grammophon; 55 CD und drei DVD (DGG)

(RP)
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