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Düsseldorf Flüchtlingsdebatte am Küchentisch

Düsseldorf · Uraufführung mit Blockbuster-Potenzial: Lutz Hübner und Sarah Nemitz legen eine bissige Satire zur Flüchtlingsfrage vor, in der es um deutsche Befindlichkeiten geht. Sönke Wortmann inszeniert mit Tempo, ohne Brüche zu riskieren.

Die leeren Pastateller stehen noch auf dem Tisch, alle sind schon ein bisschen träge vom Rotwein, da verkündet Benny die Neuigkeit: Er hat nicht nur die Stelle in New York bekommen und wird seine WG-Freunde für ein Jahr verlassen. Er hat auch eine Idee: In sein Zimmer sollen Flüchtlinge einziehen. Schließlich sind in Sachen Migration jetzt alle gefragt. Und fünf erwachsene Menschen, die sich eine 200-Quadratmeter-Wohnung mit Dachterrasse teilen, können es sich leisten. Integration hautnah. Wer, wenn nicht wir? fragt Benny. Seinen Designer-Sessel will er allerdings in den Keller räumen. Der Bezug ist ein bisschen empfindlich.

Wohngemeinschaften sind seltsame Zwischenreiche. Jeder macht sein eigenes Ding und muss sich doch arrangieren. Nächte am Küchentisch, Rituale, Wir-Gefühl, aber auch Streit um Putzpläne, Gewohnheiten, zu viel Nähe unter Freunden. Jedenfalls ist die WG ein ideales Biotop sozialer Kontrolle, um zu testen, wie tolerant die linksliberalen Selbstverwirklicher wirklich sind. Das hat schon manchen guten Komödienstoff ergeben. Diesmal unter den verschärften Bedingungen der aktuellen Lage: Denn es geht um die Frage, wie weit das Mitgefühl trägt, wenn es nicht mehr heißt, abgetragene Klamotten ins Flüchtlingsheim zu bringen, sondern Menschen von dort teilhaben zu lassen - am eigenen Leben.

Das Dramatikerduo Lutz Hübner und Sarah Nemitz hat für "Willkommen" geschickt einen Mikrokosmos gewählt, in dem sich wie unter dem Brennglas die Positionen zur Flüchtlingsfrage durchspielen lassen. Das hat viel Witz, die Figuren sind typisch, aber vielschichtig genug, um keine Karikaturen abzugeben. Es prasselt Pointen, die Dialoge sind schnell und bissig. Zugleich ist das Stück Milieustudie und Beziehungscomedy - intelligente Unterhaltung also, die direkt aus dem Leben gegriffen ist.

Sönke Wortmann inszeniert das mit viel Gespür fürs Genre. Er kennt sich aus mit WGs, schon seine frühen Kinoerfolge wie "Der bewegte Mann" haben in diesem zwangskollektiven Alternativ-Milieu gespielt. Und dass ihm der gesellschaftskritische Humor von Hübner/Nemitz liegt, konnte man in seiner Inszenierung des Erfolgsstücks "Frau Müller muss weg", das Wortmann auch verfilmt hat, besichtigen.

"Willkommen" inszeniert er nun abermals mit viel Tempo und dem Willen zu größtmöglicher Authentizität. Florian Etti hat ihm eine realistische WG auf die Bühne gezimmert, in der die Insignien ewiger Jugendlichkeit mit den Statussymbolen der Besserverdienenden geschickt kombiniert sind: Im Wohnzimmer steht eine Tischtennisplatte, in der Küche knattert der edle Kaffeeautomat, und auf dem Tisch brennen echte Kerzen. Naturalismus modern. Heute wird nicht mehr real existierendes Elend auf die Bühne gehoben, um die soziale Frage zu stellen, wie in Gerhart Hauptmanns Tagen. Die Gesellschaftsdramatiker der Gegenwart blenden in die Dialoge der prekär beschäftigten Mittelschicht, um deren Selbstbetrügereien zu studieren. Dabei verheddern sich alle gleichmäßig in Widersprüche, tun sozial und sind doch Egoisten, entscheiden kollektiv und lästern doch einer über den anderen. Natürlich lebt das von Klischees. Und Hübner/Nemitz machen es sich gelegentlich arg einfach, wenn sie die Positionen der wohlmeinenden Engagierten der Lächerlichkeit preisgeben. Über Gutmenschen wurde eigentlich schon genug gelacht. Wortmann hält nicht dagegen, riskiert keine Brüche, inszeniert glatt und gefällig. Sein Theater soll den Zuschauer möglichst widerstandslos in die Geschichte ziehen, wie in einen Film, keine kritischen Distanzen schaffen, keine Irrationen.

Die Schauspieler fühlen sich sichtlich wohl in Wortmanns WG. Cathleen Baumann spielt die sarkastische Alleinerziehende, die Nächstenliebe pragmatisch angeht. Sonja Beißwenger gibt mit dem richtigen Schuss zuviel an Empathie die sozial Engagierte der WG. Allerdings will sie die Flüchtlinge auch nur aufnehmen, weil sie ihr nächstes Fotoprojekt mit ihnen plant. Yohanna Schwertfeger ist ein wenig zu plakativ die naive Sozialpädagogikstudentin, die mit eigenen Problemen beschäftigt ist. Moritz Führmann gibt hübsch lässig den hippen Dozenten Benny, der nach New York entschwindet, und Sebastian Tessenow ist der Banker in Probezeit, der bei moralischen Fragen rumlaviert, aber gern ein bisschen cooler wäre. Und als man gerade denkt, dass man diese Typen eigentlich zur Genüge kennt, bringt Serkan Kaya als türkischstämmiger Alternativbewerber für das freie Zimmer, mit herzhaften Kanakensprüchen frischen Wind in die WG.

So ist "Willkommen" kein Stück über Flüchtlinge, sondern über deutsche Befindlichkeiten. In Zeiten dauernder Polarisierung wirkt der satirische Ton fast versöhnlich. Immerhin wird noch gemeinsam gelacht.

(dok)
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