Ostende Floß aus goldenen Salzstangen

Ostende · Eine Schau im belgischen Ostende widmet sich dem Überleben auf dem Meer. 50 Künstler um Jan Fabre reflektieren das Schicksal von Bootsflüchtlingen.

Die belgische Hafenstadt Ostende setzt sich auf ungewöhnliche Weise mit dem Meer und seiner Abgründigkeit auseinander: Der Maler und Bildhauer Jan Fabre, einer der einflussreichsten Gegenwartskünstler, hat als Kurator eine Ausstellung organisiert, die unter dem Titel "Das Floß - Kunst ist (nicht) einsam" ebenso aktuell wie inhaltlich bedrohlich wirkt.

Im Kunstmuseum Mu.ZEE und an 20 weiteren Ausstellungsorten, darunter mehrere Kirchen, werden die Arbeiten von 50 internationalen Künstlern gezeigt. Thematischer Ausgangspunkt - quasi als Dialog-Anker für die beteiligten Maler, Bildhauer, Video- und Performance-Künstler aus drei Kontinenten - ist Géricaults berühmtes Gemälde "Das Floß der Medusa". Darauf stellt der französische Maler die Überlebenden eines historisch verbürgten Schiffbruchs von 1816 auf intensive und beklemmende Weise dar. Die naheliegende Parallele zu den Flüchtlingsdramen im Mittelmeer wird von den Künstlern in Ostende auf ebenso unterschiedliche wie eindringliche Art gezogen.

Mitten in der Dünenkirche "Unsere liebe Frau" hat Manfred Erjautz ein kleines Floß-Modell in einen Glaskasten gesetzt, das an Giacometti erinnert. Das vermeintliche Gestänge der Installation besteht allerdings aus golden gefärbten Salzstangen. Der österreichische Künstler will damit kritisch an die gemütliche Sofa-Situation des Fernsehzuschauers erinnern, der Salzstangen knabbert und gleichzeitig dazu die neuesten Flüchtlingsnachrichten unbekümmert konsumiert.

Direkt auf die Überlebenskämpfe der Flüchtlinge im Mittelmeer verweist auch der Südtiroler Michael Fliri. Mehrere Tausend leere Plastikflaschen hat er in der Dominikanerkirche zum einem notdürftig tragfähigen Boot aneinandergeklebt. Der sakrale Raumbezug wirkt hier unmittelbar verstörend auf den Betrachter und ordnet Öffentliches wie Privates, Religiöses wie Politisches in einen ungewohnten, befremdlichen Zusammenhang.

In blutigem Rot alarmiert derweil die japanische Künstlerin Chiharu Shiota in einem weiten Saal des Ostender Kunstmuseums die Betrachter ihrer raumgreifenden Installation "Unsichere Reise": Lauter kleine Boote werden von flammend roten Nebelwellen erfasst und scheinen dem Untergang auf hoher See bereits unwiederbringlich geweiht zu sein.

Und auch der Belgier Michael Borremans wirkt mit seinem ertrinkenden Anonymus wie eine stumme Mahnung und Anklage. Seine überdimensionale Kapuzenfigur ertrinkt förmlich in einem Wasserbassin direkt vor dem Ostender Casino-Palast - ein unheimlicher "Gruß" an die Glücksspiel-Besucher, denen es, kaum einen Steinwurf entfernt, vornehmlich um fröhliche Alltags-Abwechslung und erhoffte Geldvermehrung geht.

Die Ausstellung "Das Floß" präsentiert sich als eine eindrucksvolle Summe unterschiedlichster Denk- und Umsetzungsmodelle zum Thema Flucht, Überleben, Tod und Einsamkeit. Jan Fabre ist es gelungen, ein breites und qualitativ hochwertiges Spektrum kreativer zeitgenössischer Auseinandersetzungen mit dem vorgegebenen Motiv zu einer berührenden Schau zu formen.

Info Bis 28. April im Mu.ZEE Ostende, täglich von 10 bis 18 Uhr, 24.12. bis 31.12. von 10 bis 17 Uhr; 25.12. und 1.1. geschl.

(epd)
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