Katastrophenfilm Professor Drosten täte diesem Film gut

„Pandemie“ heißt das Werk, das die Gegenwart auf die Leinwand bringen möchte. Das Problem: Die südkoreanische Produktion ist sieben Jahre alt.

 In dieser Produktion herrscht Maskenpflicht: Su Ae (mit Kind auf dem Arm) in „Pandemie“.

In dieser Produktion herrscht Maskenpflicht: Su Ae (mit Kind auf dem Arm) in „Pandemie“.

Foto: verleih

Könnte sein, dass dieser Film dereinst als Gründungsdokument eines neuen Genres gelten wird: des Aerosol-Pornos. Jedenfalls gibt es ziemlich zu Anfang der Produktion mit dem zeitgemäßen Titel „Pandemie“ mehrere Szenen, die in einer Apotheke spielen und in einer Schule, und darin husten und röcheln Infizierte, die noch nicht wissen, wie schwer sie an etwas sehr Fiesem erkrankt sind, ungeschützt in Versammlungen von Artgenossen. Die Leinwand wird vom Regisseur jeweils dramatisch eingefärbt, und die Schwebeteilchen, die die Todgeweihten hervorstoßen, treten vor diesem Hintergrund weiß und umso bedrohlicher hervor.

Dabei ist die Produktion noch nicht einmal neu, sie lief bereits im Jahr 2013 in Südkorea im Kino. Der Originaltitel lautete damals übersetzt „Grippe“, was nun vor dem Hintergrund der Corona-Erfahrung niedlich klingt. Der Verleih, die Busch Media Group, kramte den Film hervor, als Flaschenpost aus der Vergangenheit sozusagen, als Prequel zur Heinsberg-Studie, als Film zur Zeit. In der „FAS“ wurde Geschäftsführer Simon Busch neulich gefragt, was er sich dabei gedacht habe, und ein Gedanke Buschs ist besonders erwähnenswert, nämlich der, dass sich daraus, dass der Zuschauer Maske trage und die Leute auf der Leinwand auch, so eine Art 4D-Effekt ergebe.

Man kann das aus guten Gründen zynisch und geschmacklos finden, andererseits herrscht derzeit großes Interesse an Filmen zum Thema Superspreading. Titel wie „Outbreak“ und „Contagion“ kommen auf gute Quoten bei den Streamingdiensten, warum also nicht nachlegen? Die Qualität dieser beiden Klassiker erreicht „Pandemie“ indes in keinem Moment, und vielleicht sollte man noch die Anekdote anfügen, dass der deutsche Titel ziemlich auf die Tube drückt, denn tatsächlich geht es hier um eine Virenattacke (H7N9!), die auf zwei Städte beschränkt bleibt. Nur: Wer will schon einen Film sehen, der „Epidemie“ heißt, wenn vorm Kino gerade Pandemie herrscht? Die mexikanischen Raubkopierer sind noch konsequenter, sie vertreiben, so hört man, das Werk direkt unter dem zwar nicht wahrheitsgemäßen, dafür aber viel unverblümteren Titel „Coronavirus“. Die Gegenwart einfach mal volley nehmen!

Kim Song-su hat Regie geführt, und er belässt es bei der Handlung im Ungefähren; man merkt rasch, dass sein Interesse dem übereindeutigen Bild gilt. Er ist Schlachtenmaler, kein Virologe, und ums Menschliche geht es ihm auch nicht. Über die Beweggründe der illegalen Einwanderer etwa, die sich am Anfang in Hongkong in einen Container sperren lassen (einer von ihnen hustet!) und in Südkorea als Leichenberg ankommen (nur der Hustende überlebt!) erfährt man nichts. Dafür sieht man bald, was der hustende und fiebernde Überlebende in Freiheit anrichtet: Autofahrer spucken Blut gegen Windschutzscheiben, Passanten bluten aus dem Gesicht und kippen um, und Krankenschwestern sprechen Sätze, die immer neue Hiobsbotschaften enthalten: „Lebensgefährlicher Notfall, 40 Fieber“ und „Doktor, es gibt noch mehr Fälle.“

Es geht dann alles seinen genretypischen Gang: Die Stadt versinkt im Chaos. Politiker diskutieren zu lange, der Minister will dem Präsidenten gefallen, der Präsident sieht hauptberuflich betroffen aus, und eine Verschwörungstheorie gibt es auch. Derweil steigt die Sterberate rapide an, und über den Leichenbergen schwebt eine zarte Liebesgeschichte zwischen einer jungen Ärztin und einem Einsatzhelfer, deren Erfüllung empfindlich gestört wird, weil die kleine Tochter der alleinerziehenden Ärztin ebenfalls infiziert ist.

Man schaut sich das an und weiß auch nicht so recht, ob das alles sein muss, und dann sieht man die Kommentare unter dem Trailer zum Film bei Youtube und merkt, dass vielleicht genau die das eigentliche Ereignis sind. Eine Gratis-Comedy-Veranstaltung sozusagen: Katharsis als Bonusmaterial. „Wo ist die Szene, in der sie sich um Toilettenpapier prügeln?“, fragt jemand. „Kommt Professor Drosten vor?“, will ein anderer wissen. Und: „Pandemie läuft nicht im Kino, sondern auf der Straße.“

Ein Kommentar bringt den Film, seine Ausgrabung und Neuveröffentlichung zum jetzigen Zeitpunkt angemessen sarkastisch auf den Punkt: „Es gibt doch nichts Besseres, als ins Kino zu gehen und sich vom aktuellen Weltgeschehen ablenken zu lassen.“

Pandemie, Südkorea 2013 — Regie: Kim Sung-su, mit Su Ae, Jang Hyuk, Park Min-ha, 121 Min.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort