„Mutter“ mit Anke Engelke Acht Frauen hadern mit ihrer Mutterrolle

Anke Engelke leiht in diesem experimentellen Dokumentarfilm anderen Frauen ihr Gesicht. Während die Schauspielerin ihre Lippen bewegt, hört man die Stimmen von Müttern, die das Muttersein kritisch reflektieren.

Anke Engelke in „Mutter“.

Anke Engelke in „Mutter“.

Foto: dpa/Tom Trambow

Am Anfang ist da nur eine gewisse Irritation. Das Gefühl einer Ungereimtheit. Auf der Leinwand sieht man Anke Engelke in der Badewanne sitzen. Freimütig erzählt ihre Figur von der eigenen Frigidität und wie sie die Versuche des sexsüchtigen Mannes, der sie unbedingt „knacken“ wollte, teilnahmslos über sich ergehen ließ. Angesichts der gewaltigen Intimität der Bekenntnisse bemerkt man erst nach ein paar Minuten, dass mit der Stimme etwas nicht stimmt. Dies ist nicht Engelkes Stimme, wie man sie aus ihren zahllosen TV-Auftritten kennt. Der Zweifel wird zur Gewissheit in den nächsten Szenen, in denen sich die Schauspielerin offensichtlich in die Rolle weiterer Figuren mit einem anderen Dialekt und einer anderen Stimmfärbung begibt.

In Carolin Schmitz’ experimentellen Dokumentarfilm „Mutter“ wird Anke Engelke zum Avatar für acht Frauen, deren Originalstimmen aus dem Off zu hören sind, während die Schauspielerin dazu vollkommen synchron ihre Lippen bewegt. Gemeinsam ist den Frauen, dass für sie – anders als der Mythos es verspricht – das Mutterdasein nicht das größte Glück auf Erden war.

Die eine musste kurz nach der Geburt der Zwillinge als Chefin eines Familienbetriebes wieder auf der Matte stehen und lebt stets an der Belastungsgrenze. Die andere gibt für eine große, neue Liebe die Familie auf und zerbricht fast an der Trennung von den Kindern. Wieder eine andere beschwört die Unabhängigkeit der Alleinerziehenden und verflucht die Stunden, die sie mit ihrem neunjährigen Sohn auf dem Fußballplatz verbringen muss.

Die Frauen hadern mit ihrer Rolle, ihren Gefühlen und Lebensentwürfen. Engelke verkörpert die Interviewpassagen in wechselnden Alltagssituationen und Interiors: beim Bügeln, in einer Autowaschanlage, beim Reinigen des Hasenstalls oder auf der Bühne eines Theaters. Immer neu muss man die Aussagen aus dem Schutzraum der Anonymität den unsichtbaren Protagonistinnen zuordnen.

In Engelkes Präsenz verschmelzen sie zu einem komplexen, widersprüchlichen Mutterbild, das die stereotypen Geschlechterzuschreibungen vielschichtig dekonstruiert. Die konzeptkünstlerische Herangehensweise entwickelt mit ihrem Verfremdungseffekt eine starke Faszination. Aber oftmals schieben sich die Methode und Engelkes gezielt stilisierte Performance zu sehr vor das Sujet, lenken von den Aussagen der Frauen ab, deren Aufrichtigkeit ebenso verstört wie tief berührt.

Mutter, Deutschland 2022 – Regie: ­Carolin Schmitz; mit Anke Engelke; 82 Minuten

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