Neue Komödie von Doris Dörrie Gesellschaftskunde im Freibad

Auf kleinstem Raum kochen die Konflikte hoch: Doris Dörrie gelingt mit „Freibad“ eine Komödie mit Herz. Am Ende wird sie zu einer Parabel multikulturellen Lebens.

 Andrea Sawatzki in „Freibad“.

Andrea Sawatzki in „Freibad“.

Foto: dpa/Mathias Bothor

„Freibad“ ist eines der schönsten Wörter im Duden. Nur zwei Silben und dennoch voller Verheißungen. Wenn man es mit lang gezogenen Vokalen ausspricht, spürt man den Sommer auf der Haut und das erfrischende Gefühl, ins Wasser einzutauchen. Kindheitserinnerungen werden wach. An Ferientagen, die mit einer Dauerkarte träge ineinander geflossen sind. An Bademeister, die mit der Trillerpfeife für Recht und Ordnung sorgen. An den Geruch von Sonnencreme und Pommes, die nie wieder so gut geschmeckt haben wie hier. Aber das Freibad ist nicht nur eine sommerlicher Sehnsuchtsort, sondern auch ein gesellschaftlicher Mikrokosmos. Hier kommen Menschen aus den verschiedensten Milieus zusammen. Soziale Unterschiede bleiben in Badehose oder Bikini zunächst unsichtbar. In ihrem neuen Film „Freibad“ widmet sich Doris Dörrie dem Freibad als Schmelztiegel, in dem unter der Sommersonne auf kleinstem Raum die gesellschaftlichen Konflikte hochkochen.

Die Polizei fährt vor dem Freibad vor. Aber es ist nur ein falscher Alarm. Verdutzt stehen die Uniformierten auf der Wiese und stellen fest, dass ausschließlich Frauen das Bad bevölkern. Sie befinden sich im einzigen Frauenfreibad Deutschlands, wo die Besucherinnen sich frei von männlicher Beobachtung und Belästigung in der Sonne aalen können. Ein Paradies für Frauen? Nicht ganz. Eva (Andrea Sawatzki) und Gabi (Maria Happel) gehören seit vielen Jahren zur Stammkundschaft und sind wenig erfreut, als eine Gruppe türkischer Frauen im Schatten „ihres“ Baumes Quartier bezieht. Damit nicht genug springt nun auch noch Yasemin (Nilam Farooq) im Ganzkörper-Burkini ins Becken, um ihre Bahnen zu ziehen. Für Eva ist das eine Provokation. Die ehemalige Sängerin versteht sich als Feministin. „Ich war die Uschi Obermaier von Giesing“, behauptet sie. Kopftuch und Burka sind für sie ein Zeichen patriarchaler Unterdrückung. Aus Protest steigt sie splitterfasernackt ins Wasser – und wird von der Bademeisterin Steffi (Melodie Wakivuamina) heraus komplementiert.

An dem Burkini stößt sich auch Yasemins Familie unter dem Baum. Sie sehe ja aus wie eine Araberin. Ihre Mutter Emine (Ilknur Boyraz) versteht die Welt nicht mehr, wo sie die Tochter doch ganz weltlich erzogen hat. Dass Yasemin aus freien Stücken entschieden hat, ihren Körper nicht zu zeigen, will niemand verstehen. Am nächsten Tag betritt eine Gruppe arabischer Frauen in voller Hijab-Verhüllung das Freibad. Sie haben sich aus der Schweiz hierher geflüchtet, wo die Burka per Volksabstimmung gesetzlich verboten wurde. Eva und Gabi, aber auch die türkischen Frauen beobachten das verhüllte Treiben mit steigender Feindseligkeit. Die reichen Araberinnen treiben die Preise nach oben und Trans-Imbiss-Besitzerin Kim (Nico Stank) stellt auf Lammbratwürste um. Als die Bademeisterin entnervt kündigt, besorgt ausgerechnet Eva einen männlichen Nachfolger, um die muslimischen Besucherinnen zu vertreiben.

Im Gewand einer leichten Sommerkomödie entwirft Doris Dörrie eine kluge Parabel über die wunderbare Widersprüchlichkeit des multikulturellen Lebens und die Schwierigkeit, die eigene weibliche Identität darin zu verorten. Das Freibad wird zum Labor der Demokratie, in dem es kräftig dampft und kracht, weil hier Diskurse über Freiheit, Toleranz, kulturelle Diversität, weibliche Selbstbestimmung und Körperbilder ergebnisoffen und unter Einbeziehung menschlicher Schwächen in Fluss geraten. Mit einem offenen Humor, der auch die Klamotte zu streifen wagt, knackt Dörrie lustvoll das Schubladendenken auf, dem alle Badenden auf verschiedenste Weise verfallen sind.

Das Drehbuch, das Dörrie zusammen mit Karin Kaçi und Madeleine Fricke verfasst hat, unterscheidet sich deutlich von deutschen Komödienstandards, weil hier Humorvolles und Debattenträchtiges organisch ineinanderfließen. Am Ende wird die Botschaft vielleicht ein wenig zu deutlich durchtelefoniert, aber „Freibad“ ist ein Film mit einem großen Herz. Die fehlbaren Figuren werden nie an die Karikatur verraten. Ebenso liebevoll wie analytisch blickt der Film auf die Dynamik zwischen persönlichen Ängsten und gegenseitigen Vorurteilsstrukturen.

„Freibad“ ist keine beißende Satire, sondern ein Aufruf es immer wieder miteinander zu versuchen und sich selbst zu hinterfragen. Denn im Streit und Dialog mit anderen gibt es so viel mehr zu erleben und an sich selbst zu entdecken als im gedanklichen Ghetto der eigenen sozialen Blase.

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