Düsseldorf Woody Allens höllische Lust am Absturz

Düsseldorf · In "Blue Jasmine" stürzt er Cate Blanchett als Millionärsgattin in den Ruin – die macht daraus einen grandiosen Auftritt.

Die Frau mit dem sorgfältig blondierten Haar, dem Channelkostüm, dem Klunkerschmuck kann nicht glauben, wo sie gelandet ist. Angewidert läuft Jasmine durch die Wohnung ihrer Schwester mit all dem schmiedeeisernen Nippes, den rustikalen Vorhängen, den Bildern mit Holzintarsien. "Gemütlich" wird sie sagen, als ihre Schwester mit den beiden lärmenden Söhnen heimkommt, denn Jasmine spricht Wahrheiten ungern aus. Sie ist zu tief gestürzt. Bis vor kurzem war sie die verwöhnte Gattin eines New Yorker Immobilienhais. Doch der hat im großen Stil betrogen, seine Geschäftspartner und seine Ehefrau. Nun sind Reichtum und Ansehen dahin, Jasmine kriecht bei ihrer Schwester im Proletariermilieu unter, wird zurückgeworfen auf ihr eigenes Ich – und fällt ins Bodenlose.

Woody Allen beobachtet sie seit Jahrzehnten, diese Frauen der Geld-Oberschicht, die sich den ganzen Tag mit Maniküre, Mode, der Ausstattung ihrer Upper-East-Side-Appartments beschäftigen, sich mit ihren illoyalen Freundinnen zum Cocktail treffen und über Mode, Ausstattung, Affären plaudern, weil eine andere Wirklichkeit nicht in ihren goldenen Cocon dringt. Nur hatte Allen früher mehr Mitleid mit diesen Geschöpfen, die sich insgeheim doch nach ein wenig Substanz in ihrem Leben sehnten. Und dann schickte er Mia Farrow als schüchterne Millionärsgattin "Alice" zum chinesischen Heiler, ließ ihr allerhand befreiende Drogen verabreichen und am Ende packte die ihre Kinder, floh aus der hohlen Luxuswelt in die heile Einfachheit und ward glücklich.

20 Jahre später ist Woody Allens Humor böser, sein Ton sarkastischer geworden. Sein neues Wohlstandsopfer ist kein naives Vöglein im goldenen Käfig mehr, sondern eine kühle Strategin, die es zu keiner Fähigkeit gebracht hat außer der, sich an der Seite eines Immobilienboom-Gewinnlers zu halten. Cate Blanchett spielt diese Frau mit der ihr eigenen kühlen Nobless, mit dieser grandiosen Herablassung, die in dieser Rolle auf nichts fußt außer dem Bewusstsein, zu Höherem geboren zu sein. "Sie hatte die besseren Gene", souffliert denn auch ihre Schwester Ginger, die von Sally Hawkins mit wunderbar dummer Zutraulichkeit gespielt wird. Beide Frauen sind Adoptivkinder, doch Janette wusste sich mit den äußerlichen Insignien der Upper-Class zu schmücken, nannte sich lieber Jasmine und angelte sich einen Mann, der seine Frauen nach der passenden Oberfläche wählt.

Cate Blanchett spielt diesen Frauentypus mit beeindruckender psychologischer Tiefenschärfe. Sie macht auch Jasmine kein ahnungsloses Opfer, sondern eine Täterin, die keineswegs geneigt ist, ihr Geldparadies aus freien Stücken zu verlassen. Erst als es ganz schlimm kommt, als keine Heuchelei, kein Selbstbetrug, keine doppelten Drinks mehr weiterhelfen, steigt sie in den Flieger zu ihrer Schwester. Da ist sie allerdings schon so angegriffen, dass sie in der Öffentlichkeit manchmal vor sich hinstiert, mit sich selbst spricht und Stimmungsaufheller futtert wie Smarties.

Blanchett treibt es weit mit ihrer Figur, zeichnet sie als Wrack im Twinset, als edlen Zombie des Neoliberalismus. Doch dann hat man auch wieder Vergnügen an dieser skrupellosen Hochstaplerin, die ihrer Schwester mit herzlicher Bitterkeit vorwirft, sich immer wieder Verlierertypen an den Hals zu werfen, weil das eben auch ein sicheres Muster ist. Woody Allen schreibt seinen Darstellern stets Drehbücher auf den Leib und lässt sie vor der Kamera glänzen. Darum reißen sich die Stars, mit ihm zu drehen. Diesmal aber hat er mit Cate Blanchett eine Seelenverwandte gefunden, eine Schauspielerin, die ihre Figuren auf die Couch legt, bevor sie in sie hineinschlüpft. Und dann kehrt sie deren Innenleben nach außen. Gnadenlos. Man wünscht ihr den Oscar für diese Darbietung.

Blanchett spielt mit den Gefühlen ihrer Zuschauer, füttert sie mal mit Schadenfreude über den rasanten Fall einer nichtsnutzigen Luxusfrau, nötigt sie dann wieder zu Mitleid mit einer, die doch nur die Spielregeln einer seelenlosen Gesellschaft anwendet, nach jedem Rückschlag das Channelkostüm geradezieht und sich als ramponierte Kriegerin wieder auf den mühsamen Weg nach oben macht. Erst als sie selbst nicht mehr merkt, dass ihre Fassade schon zu viele Einschüsse hat, wird die Geschichte wirklich tragisch.

"Blue Jasmine" ist nach verspielten Werken wie "Midnight in Paris" oder heiter grundierten Tragikomödien wie "Ich seh den Mann Deiner Träume" oder zuletzt "To Rome With Love" ein abgründiger Film geworden. Woody Allen ist zurück in New York, seine Jasmine flüchtet zwar zur Schwester nach San Francisco, aber Kalifornien dient nur als proletarisch-heile Gegenwelt zum versnobten, verzogenen, verdammten New York. Wer es in dieser Stadt schafft, schafft es überall, hat Frank Sinatra einst gesungen. Woody Allens neuer Film ist die grandiose Umkehrung: Wer in New York zugrunde geht, kommt nirgends wieder hoch. llll

(RP)
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