"Wilde Maus" Eisige Zeiten

In seinem tragikomischen Regiedebüt "Wilde Maus" erzählt Josef Hader vom tiefen Fall eines Wiener Musikkritikers. Der verliert plötzlich seinen Job.

 Josef Hader als entlassener Journalist Georg, der sein Leben neu sortieren muss.

Josef Hader als entlassener Journalist Georg, der sein Leben neu sortieren muss.

Foto: dpa

Da sitzt er nun in dieser Bimmelbahn in einem Wiener Park, grauer Tag, kalter Wind, er ist der einzige Gast und liest, was die Kollegen so geschrieben haben. Früher war Georg die Edelfeder seines Blattes. Dachte er. Bis ihn der neue Chefredakteur zu sich bittet - und entlässt. Sparzwänge. Was soll man machen? Georg ist 50 und hat das alles nicht kommen sehen. Und nun hockt er mitten am Tag in dieser viel zu engen Kinderbahn und wartet, dass sie losruckelt. Damit sich etwas in seinem Leben bewegt.

In seinem Regiedebüt "Wilde Maus" erzählt der österreichische Schauspieler und Kabarettist Josef Hader vom tiefen Fall eines Mannes, der als Musikkritiker bisher andere erledigt hat. Plötzlich wird er hinausgeschleudert aus der bornierten Welt des Wiener Musikbetriebs, seine Expertise ist nicht mehr gefragt, die ahnungslose Kollegin aus der Redaktion übernimmt jetzt seine Aufgaben. Beurteilen kann sie nichts, aber sie ist flexibel. Und billiger.

Es ist die alte Geschichte vom Sturz eines Selbstgefälligen und von der Unerbittlichkeit eines Wirtschaftssystems, das auf Profit ausgerichtet ist. Auch wenn das Leute in Kreativberufen gern verdrängen. Doch Hader erzählt diese Geschichte neu, mit klugen, tragikomischen Bildern und Figuren, die ganz aus der Gegenwart gegriffen sind.

Dabei verfällt er nicht in österreichischen Selbsthass, blickt nicht kalt auf die selbstgeschaffenen Kreaturen, die da versuchen, das Gesicht zu wahren, Mensch zu bleiben, auch wenn man ihnen das Wichtigste im Leben nimmt, ihren Job, ihr Ansehen, ihr Selbstbewusstsein.

Hader hat Mitgefühl mit diesem Georg, den er selbst spielt, betrachtet ihn verwundert, meistens liebevoll. Er zeigt ihn als einen mäßig sympathischen Durchschnittskerl, der herumlaviert, als seine Lebensgefährtin spät noch einen drängenden Kinderwunsch entwickelt und beginnt, ihr Leben in Eisprungzyklen einzuteilen. Sie alle sind Wohlstandsmenschen, ein wenig unglücklich, ein bisschen auf der Suche und blind für das vorhandene Glück. Aber sie sind keine Schablonen, keine Kabarettausgeburten, die Lacher produzieren müssen.

Hader gräbt eine Schicht tiefer. Zeigt nicht nur, wie lächerlich der Mensch ist, wenn er aus seinen sozialen Rollen geworfen wird, den Halt seines sorgsam aufgebauten Statusgebäudes verliert. Hader erzählt auch von verzweifeltem Trotz, von komischem Mut, von Eigenarten, die Menschen zu Menschen machen.

Georg etwa hört laut Musik, als er am Tiefpunkt seines Lebens angekommen ist. Seines Kritikerstandes wurde er beraubt, aber die viel tiefere Leidenschaft für fetten Orchesterklang kann ihm niemand nehmen. Und seine Lebensgefährtin Johanna, wunderbar herb gespielt von Pia Hierzegger, taumelt auf die Party eines Studenten, als ihr Leben aus der Bahn getragen wird, und sie ahnt, dass ein Kind keine Erlösung bringen wird.

Unter den viel jüngeren Leuten beginnt sie zu tanzen, traurig, entschlossen, ganz bei sich. Das hat keine "ich will noch einmal jung sein"-Verzweiflung, sondern eine große Selbstsicherheit. Eine Reife, die schön macht.

Dass Hader solche Momente gelingen, hebt seinen Film von der Durchschnittskomödie ab. Dabei geht es wirklich komisch zu: Georg findet sich nicht ab, er beginnt einen Rachefeldzug gegen seinen Chefredakteur und versucht hinter dem Rücken seiner Freundin, sich im Wiener Prater eine neue Existenz aufzubauen.

Das ist alles hilflos, lächerlich und kämpferisch zugleich, und Hader kann diesen verdutzten Weltschmerzblick aufsetzen, der von der Vergeblichkeit des Seins erzählt. Und von überzogenen Erwartungen an das Leben. Seine Figuren kennen Selbstironie. Das bewahrt sie vor dem totalen Absturz. Und den Film vor dem Fall ins Klischee.

Ein bisschen müht sich Hader, sein erstes Werk, für das er auch das Drehbuch geschrieben hat, zu einem plausiblen, aber packenden Ende zu führen. Der freie Fall ist eben rasanter als das Aufstehen nach dem Aufprall. So verliert diese realistische und in ihren wahrhaftigsten Momenten absurde Komödie gegen Ende ein wenig an Biss und Tempo.

Aber vielleicht ist der Film gerade darin auch ehrlich. Eine Entlassung setzt Kräfte frei. Sie macht einen selbstgefälligen Kritiker zur wilden Maus. Aber die wütende Energie zur Rebellion reicht nicht ewig. Georg durchläuft alle Stationen des Schocks und dessen Nachwehen: Er leugnet seinen Rauswurf - vor sich selbst, vor seiner Lebensgefährtin, vor der Welt.

Irgendwann geht er zum Angriff über, und als der Furor vorüber ist, als er durch das tiefe Tal geschritten ist, das in dieser Komödie ein verschneiter Berg ist, landet er wieder bei dem, was er ist: ein Mann ohne Job. Ein Mensch, der hervortreten muss hinter der Fassade, die ihm einfach weggesprengt wurde, von heute auf morgen. Was da noch aus den Trümmern treten kann, was übrig bleibt, wenn einer degradiert wird, ist die Frage, die durch diesen Film trägt.

Hader ist mit der "Wilden Maus" eine intelligente Komödie geglückt, die auf die Mitte der Gesellschaft zielt, auf Abstiegsängste, Torschlusspanik, die Krisen in der Mitte des Lebens. Das ist so unterhaltsam wie Kabarett, in den besten Momenten aber auch von zeitloser Tragik.

Wilde Maus, Österreich/Deutschland, 2017 (Premiere bei der Berlinale) - Regie: Josef Hader, mit: Josef Hader, Pia Hierzegger, Georg Friedrich, Jörg Hartmann, 103 Minuten

(dok)
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