Wes Andersons neuer Film "The French Dispatch" Anarchisches Klassentreffen der Stars

Liebeserklärung an die Presse: Wes Anderson holt für seinen amüsanten neuen Film „The French Dispatch“ wieder viele internationale Darsteller vor die Kamera.

 Elisabeth Moss, Owen Wilson, Tilda Swinton, Fisher Stevens und Griffin Dunne (v.l.) in einer Szene des Films „The French Dispatch".

Elisabeth Moss, Owen Wilson, Tilda Swinton, Fisher Stevens und Griffin Dunne (v.l.) in einer Szene des Films „The French Dispatch".

Foto: dpa/---

Chefredakteure wie Arthur Howitzer (Bill Murray) wünscht sich jeder Schreiber. Als er erfährt, dass für die neue Ausgabe seiner Zeitschrift ein Artikel zu viel bestellt wurde und mehrere Autoren ihre Zeilenvorgabe um einige Tausend Wörter überzogen haben, runzelt er versonnen die Stirn. „Wir kürzen nichts“, sagt er schließlich, „macht das Impressum kleiner, werft ein paar Werbeanzeigen raus und bestellt mehr Papier.“

Als Liebesbrief an den Journalismus versteht Wes Anderson seinen neuen Film „The French Dispatch“. Gemeint ist hier ein Journalismus der alten Schule, der die Abonnentenschar mit literarisch geschriebenen Storys in eine unbekannte Welt entführt. Als ideelle Vorlage diente das legendäre Magazin „The New Yorker“, das seit 1925 Kurzgeschichten, Kritiken, Essays, Lyrik, Cartoons und Reportagen ohne Format-Zwänge veröffentlicht und auch heute noch mit einem von Hand illustrierten Titelblatt am Kiosk um Kundschaft wirbt.

Aber Anderson weiß nicht nur guten Journalismus zu schätzen, sondern auch seine Wahlheimat Paris, in die der gebürtige Texaner seinen Hauptwohnsitz verlegt hat. Und so hat der bekennende Arthaus-Regisseur, der zuletzt 2014 in „Grand Budapest Hotel“ das Europa vor dem Ersten Weltkrieg erkundete, die Redaktion seines fiktiven Magazins „French Dispatch“ nach Frankreich in das ebenso fiktive Ennui-sur-Blasé verlegt, von wo aus Howitzer die amerikanische Leserschaft mit Geschichten aus der alten Welt zu erfreuen sucht.

Durchaus folgerichtig ist der Film wie ein Magazin strukturiert mit einem Editorial, das in die redaktionelle Welt des Print-Mediums einführt, drei ungekürzten Reportagen aus dem wilden Leben im Frankreich des Jahres 1975 und einem Schlusswort. Damit hört die strukturelle Ordnungsliebe jedoch auch schon wieder auf. Denn die kunstvoll verspielte Ästhetik, die Andersons Filme von „Rushmore“ (1998) über „Die Royal Tenenbaums“ (2001) und „Tiefseetaucher“ (2006) bis zu „Moonrise Kingdom“ (2012) auszeichnete, wird in seinem neuen Film zum alles beherrschenden Erzählprinzip.

Jede einzelne Szene entwickelt sich nicht nur durch eine liebevolle und detailreiche Ausstattung von innen heraus zu einem visuellen Vergnügen. Durch Split-Screen, plötzlich einfrierende Bilder, Bildunterschriften, Erzählerstimme aus dem Off, dem Wechsel zwischen Schwarzweiß und Farbe wird auch von außen ins Geschehen eingegriffen. Hinzu kommen unterschiedliche narrative Rahmenkonstruktionen: Mal springt eine Geschichte auf die Bühne eines Theaters oder verwandelt sich plötzlich in einen Comic-Strip. Eine andere wird im Format einer Talk-Show eingefasst und die nächste von Tilda Swinton als Kunstprofessorin in einer Vorlesung zum Besten gegeben.

Anderson ist fest entschlossen, keine Grenzen und Konventionen zu akzeptieren, und erschafft seinen eigenen kunstvoll-anarchistischen Erzählkosmos. Die erste Reportage erzählt von dem verurteilten Mörder Moses Rosenthaler (Benicio Del Toro), der in einem psychiatrischen Hochsicherheitstrakt eingesperrt ist und dort abstrakte Aktgemälde seiner Wärterin und Muse Simone (Léa Seydoux) malt. Ein umtriebiger Kunsthändler (Adrien Brody) entdeckt bei seinem eigenen Gefängnisaufenthalt das Talent des Mitgefangenen und will Moses ganz groß herausbringen.

In der zweiten Geschichte möchte die investigative Reporterin Lucinda Krementz (Frances McDormand) ein Porträt über den studentischen Revoluzzer Zeffirelli B (Timothée Chalamet) verfassen und vernachlässigt das journalistische Neutralitätsgebot, indem sie sich mit dem jungen Mann im Bett vergnügt und für ihn die politischen Manifeste verfasst.

In der letzten Story soll der Gastro-Kritiker Roebuck Wright (Jeffrey Wright) über den Polizeikoch Nescaffier (Stephen Park) schreiben, der auf einsatzgerechte Menüs spezialisiert ist, die geräuschlos und mit einer Hand gegessen werden können. Aber schon bald findet sich der Gourmet-Journalist in einem wilden Entführungsfall wieder, in dem der Polizeichef (Mathieu Amalric) seinen Sohn mit Hilfe kulinarischer Tricks aus den Händen des Kidnappers (Edward Norton) zu befreien versucht.

Wie schon in „Grand Budapest Hotel“ verwandelt Anderson auch diesen Film in ein illustres Klassentreffen hochkarätiger Schauspieler. Da heißt es aufgepasst, sonst hat man Willem Dafoe hinter Gittern verpasst oder Tilda Swinton mit Gebiss und karottenroter Perücke nicht erkannt. „French Dispatch“ ist in jeglicher Hinsicht ein Fest der Kreativität, der originellen Einfälle, der kleinen Details, der narrativen Verschlingungen und des skurrilen Humors.

Aber „French Dispatch“ ist auch der Anderson-Film, in dem sich der Regisseur am meisten um sich selbst und seinen kreativen Kosmos dreht. Dem überbordenden Ideenreichtum steht hier eine Flucht in eine nostalgisch-artifizielle Welt gegenüber, die allein für sich selbst zu existieren scheint.

„The French Dispatch“, Deutschland/Frankreich/USA 2021, 108 Minuten; Regie: Wes Anderson; mit Bill Murray, Benicio Del Toro, Frances McDormand, Adrien Brody, Tilda Swinton, Elisabeth Moss, Owen Wilson

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