Märchenadaption für die Gegenwart Paula Beer als moderne Nixe

Düsseldorf · Christian Petzold macht in „Undine“ aus dem Mythos der Männer mordenden Wasser-Nymphe eine moderne Frauenfigur – die bedrohlich bleibt. Seinen Hauptfiguren hat er Rollen geschrieben, die ihnen passen wie ein Neoprenanzug.

 Paula Beer in ihrem Element – als Wasser-Nymphe „Undine“ im neuen Film von Christian Petzold.

Paula Beer in ihrem Element – als Wasser-Nymphe „Undine“ im neuen Film von Christian Petzold.

Foto: dpa/-

Als Undine dem Mann begegnet, der sie lieben wird, stürmisch, arglos, ganz wie sie ist, zerspringt das Glas im Riesenaquarium der Kneipe. Die beiden werden umgespült von einer märchenhaften Welle. Mitten in einem tristen Berliner Lokal geschieht etwas Unwirkliches, Poetisches: Eine Woge der Zuneigung holt zwei Menschen von ihren Füßen, sie werden kalt erwischt, und dann liegen sie lächelnd da, durchnässt, zwei Gestrandete, füreinander bestimmt.

In seinem neuen Film „Undine“ transponiert Christin Petzold den alten Mythenstoff von der Nixe, die Männer tötet, die ihr untreu werden, in die Gegenwart. Doch er erzählt kein modernes Märchen, pfropft der Wirklichkeit keine sagenhafte Geschichte auf. Petzold bleibt dem nüchternen, bisweilen spröden Ton der sogenannten Berliner Schule treu, erzählt präzise eine Liebesgeschichte aus der Gegenwart. Doch lässt er darin immer wieder Momente geschehen, die aus einer fernen, poetischeren Zeit zu stammen scheinen. Da birst dann genau im richtigen Moment das Panzerglas. Oder auf dem Grunde eines Stausees taucht ein Schriftzug auf, der einen Versehrten wieder mit dem Leben versöhnt. Oder eine junge Frau, die gerade von ihrem Freund verlassen wird, reagiert mit der wunderbar unzeitgemäßen Drohung, er möge sie gefälligst ewig lieben, sonst müsse sie ihn töten. Diese erzählerischen Untiefen geben dem Film etwas Fantastisches, Flirrendes, Ahnungsvolles, einen Märchenzauber, der ohne falsche Süße auskommt und Gehalt ist, nicht Zutat.

Vordergründig erzählt „Undine“ die Geschichte einer jungen Frau, die in einem dieser Single-Appartments im Zentrum Berlins lebt, von ihrem Freund verlassen wird und sich neu verliebt – in einen Industrietaucher. Undine ist Historikerin, hochgebildet, prekär beschäftigt. Sie jobbt in der Berliner Senatsstelle für Stadtentwicklung, hält Vorträge vor ausländischen Gästen über die Geschichte Berlins, die Geburt einer Metropole aus trockengelegten Sümpfen. Das Wassermotiv taucht in vielen solcher Details auf, etwas übertreibt es Petzold sogar mit derlei Anspielungen, doch wenn er sich mit seinem Kameramann Hans Fromm sinnlich auf das Medium einlässt und tatsächlich abtaucht, entstehen märchenhafte Szenen im Zwielicht der Unterwasserwelt.

Wie schon in der Anna-Seghers-Verfilmung „Transit“ aus dem Jahr 2018 hat Petzold Paula Beer und Franz Rogowski zu seinen Hauptdarstellern gemacht. Der Regisseur schreibt seine Drehbücher immer auf die Persönlichkeiten zu, mit denen er arbeitet, erfindet Rollen, die ihnen passen wie ein Neoprenanzug. Rogowski spielt den Industrietaucher, der gerade im Sauerland an den Turbinen in einem Stausee arbeitet. Ein stiller Typ, der seinen gefährlichen Job sorgfältig und darum lässig erledigt, kein Macho, kein Tauchlehrer-Casanova, sondern ein Kumpel, dem die Kollegen vertrauen. Paula Beer kommt aus einer anderen Welt, spielt die Intellektuelle, die fließend Fremdsprachen spricht und sich über Nacht Vorträge „draufschafft“, wenn der Job es verlangt. Beer hat nicht den gebrochenen Stolz und die hinter Kühle verborgene Verletzlichkeit von Nina Hoss, mit der Petzold früher seine Filme gedreht hat. Doch sie ist eine „Undine“, die realistisch die moderne, ehrgeizige Karrierefrau verkörpert und zugleich das Abgründige, gefährlich Absolute der Märchenfigur. Wenn sie Arm in Arm mit Rogowski durch Berlin spaziert und plötzlich ihren früheren Freund entdeckt, können allein ihre Blicke töten.

Zwischen beiden Darstellern entwickelt sich eine Liebesgeschichte, die ohne abgegriffene Motive auskommt. Das ist eine Stärke dieses Films. Wie schon in „Barbara“ inszeniert Petzold unaufdringliche, scheinbar belanglose Szenen, die er romantisch auflädt. Wie Rogowski neben dem Zug herläuft, weil ihm jede Sekunde mit seiner neuen Freundin kostbar ist. Oder wie er sie vom Bett aus beobachtet, als sie nachts einen ihrer Vorträge auswendig lernen muss, und sie dann nicht etwa zu sich in die Federn zieht, sondern ihren Vortrag hören will, weil er sie liebt für das, was sie selbst liebt. Das spielt vollkommen unangestrengt mit Erwartungen und Klischees und erzählt in einer Zeit, in der alles nur noch Zitat scheint, eine wahrhaft individuelle Liebesgeschichte.

 „Undine“ hatte Anfang des Jahres bei der Berlinale Premiere, Paula Beer gewann den Silbernen Bären als beste Hauptdarstellerin. Eigentlich sollte der Film mit diesem Schub kurz nach dem Festival zu sehen sein. Er ist nun der erste bedeutende Film, der seit der Corona-Krise anläuft, und die Menschen zurück ins Kino locken soll. Für Petzold ist es das erste Werk einer Reihe, in der er sich mit der Romantik befassen will. Das schauerliche Kunstmärchen „Undine“ von Friedrich de la Motte Fouqué diente ihm als Motivgeber. Petzold gilt als Vertreter jener Filmästhetik, die in den 1990er Jahren von der Filmkritik „Berliner Schule“ getauft wurde und sich durch Kargheit und Konzentration auszeichnet. Solche Zuschreibungen sind immer nur Behelfe, doch ist es spannend, wie Petzold seinem erzählerischen Purismus und dem sachlichen Stil treu bleibt. Das kann herausfordernd sein, wenn seine Hauptfigur etwa ausführlich Berliner Stadtgeschichte referiert, weil ihre Arbeit nicht nur Dekor ist, sondern für Petzold erzählenswert. Doch hatte er schon immer ein Faible für das Gespenstische im prosaischen Alltag. Also nur konsequent, dass er in der schwarzen Romantik gelandet ist und eine Undine geschaffen hat – fast von dieser Welt.

„Undine“, Deutschland, Frankreich 2020, 90 Min., Regie: Christian Petzold mit Paula Beer, Franz Rogowski, Anne Ratte-Polle

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