Letzte Staffel der Reality-Serie Warum es schade ist, dass die Kardashians aufhören

Die Serie „Keeping Up With The Kardashians“ geht in die letzte Staffel. 14 Jahre lang konnten die Zuschauer Mäuschen spielen in einer Welt hinter den Spiegeln. Ein Abgesang.

 Die Kardashians: Kris, Kylie, Kourtney, Kim, Khloe, Kendall.

Die Kardashians: Kris, Kylie, Kourtney, Kim, Khloe, Kendall.

Foto: hayu

Die Szene, die diese Gaga-Welt am besten auf den Punkt bringt, spielt am Geburtstag der Matriarchin Kris Jenner. Man muss wissen, das Geburtstage eine gewaltige Sache sind in dieser Familie, zu Gartenpartys muss mindestens ein Elefant eingeflogen werden, also trägt Tochter Kim Kardashian dick auf. Sie gestaltet eine Einladungskarte aus der Tapete des Hauses, in dem sie einst lebten. Und mit den jetzigen Bewohnern hat sie ausgehandelt, dass die Kardashians den Geburtstag dort verbringen dürfen, um in Erinnerungen zu schwelgen. Als ihre Mutter sich darüber sehr freut, als sie weint und sich mit den frisch manikürten Händen Luft zufächelt, stellt Kim zur Sicherheit klar: „Ich habe das Haus nicht gekauft, nur für einen Tag gemietet.“

„Keeping Up With The Kardashians“ heißt diese Serie, und nach 14 Jahren geht sie nun in die letzte Staffel. Sie handelt von einer Familie in Calabasas nahe L.A., die ihren Alltag filmen lässt und damit berühmt und enorm reich wird. Die Kardashians sind die Beatles des Trash-TV, die Steve Jobs des Reality-Fernsehens, und vielleicht sind sie sogar die Till Eulenspiegels des Internet-Zeitalters. Wer einschaltet, sieht Menschen dabei zu, wie sie auf Bildschirme blicken, aus denen sie selbst herausschauen. In jeder Szene kommt auf eine Person mindestens ein Smartphone. Die Kardashians haben eine Welt hinter den Spiegeln erschaffen, um darin eine Welt herzustellen, die sie abzubilden behaupten.

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Die Kardashians sind die Geschwister Kourtney, Kim, Khloe und Rob. Ihr Vater ist der 2003 gestorbene Anwalt Robert Kardashian, der zu einiger Prominenz kam, weil er 1994 O. J. Simpson in einem Mordprozess verteidigte. Ihre Mutter ist die Geschäftsfrau Kris Jenner, die 1991 Bruce Jenner heiratete, der 1976 bei Olympia die Goldmedaille im Zehnkampf gewann. Das Paar bekam die Töchter Kendall und Kylie. Bruce Jenner heißt nach seiner Geschlechtsumwandlung Caitlyn. Kylie war bist vor kurzem die jüngste Milliardärin der Welt. Kendall ist eines der bestbezahlten Models weltweit. Kim – laut aktueller „Forbes“-Liste nun ebenfalls Milliardärin – trennt sich derzeit von dem Rapper Kanye West, mit dem sie vier Kinder hat. Und Kourtney und Khloe haben eigene Modelabels. Soviel zum Stand der Dinge.

Am Anfang hatte das tatsächlich noch etwas von Mäuschen-Spielen, das war ein Blick durchs Schlüsselloch. Tochter Kim war der Mittelpunkt dieser amerikanischen Mittelstandsfamilie. Sie träumte von der großen Welt, arbeitete für Paris Hilton, kaufte sich irgendwann einen Bentley und wurde in der Welt da draußen zum Star, weil sie in der Welt da drinnen vorhatte, einer zu werden. Von da an wurde es schrill. Und faszinierend künstlich. Es war wie in dem Kinofilm „Die Truman-Show“, als ein Scheinwerfer vom Himmel fällt und Jim Carrey merkt, dass er sein ganzes Leben Hauptdarsteller einer Soap Opera war.

Einmal waren die Kardashians auf Bora Bora. Mutter Kris wachte mit extrem geschwollener Oberlippe auf. Eine allergische Reaktion. Sie rief früh morgens ihre Familie zu sich. Ob sie eine Schönheitsoperation habe machen lassen, fragt Kim. „Ich hatte bestimmt keine OP mitten in der Nacht“, entgegnet die Mutter. „Lass mich ein Foto machen“, sagt die Tochter.

Die Kardashians sind die Verwirklichung des Unvorstellbaren. Sie sind ein Freilandversuch mit dem Ziel herauszubekommen, wie Menschen leben, die kein Schamgefühl haben. Man fragt sich ständig: Sind die wohl echt so? Haben die irgendwo in ihren Häusern eine Wand, hinter der sie ausatmen und Gedichte lesen? Ist Kim Kardashian so viel Kim Kardashian wie David Bowie Ziggy Stardust war? Und sind sie nach all den OPs, mit Weichzeichner-Filter und Extrem-Make-Up nicht im Grunde genau so maskiert wie die Band Kiss zu ihrer großen Zeit? Würde man von manchem Familienmitglied ein fünf Jahre altes und ein aktuelles Foto vorgelegt bekommen, man würde fragen: Die eine ist Kylie Jenner, aber wer ist die andere?

Die traurigsten Momente sind denn auch die in den späten Folgen, wenn die Realität in die eigentlich nur zu einer Seite durchlässige Welt der Kardashians bricht. Jener Moment etwa, als sich Khloe auf die Geburt ihres Kindes vorbereitet und die anderen auf ihren Handys die Klatschnachricht lesen, dass der Vater des Kindes Khloe betrogen hat. Bei Khloes erster Verlobung war es noch so, dass ihr Stiefvater sauer war, weil er davon aus dem Fernsehen erfahren musste.

In der neuesten Folge sieht man Kim dabei zu, wie sie für ihre Prüfungen lernt, sie studiert nämlich jetzt Jura. Aus solchen eigentlich sehr gewöhnlichen Sachen wie Lernen macht die Serie jedes Mal eine Sensation. Die Aufregung über einen verlorenen Ohrring, ein neu gekauftes Auto oder einen Fotoshooting-Auftrag wird schon mal über zwei Folgen gestreckt. Kalifornische Waldbrände, Verlobungen und Geburtsvorgänge auch über mehr. „Oh, my God“, sagen sie dann, das ist der Refrain der Sendung, „Oh, my God.“ Sie plappern und plappern, und ihre Worte schmelzen einfach in der Sonne.

Die Serie zu gucken, ist bescheuert. Und total toll. Es ist beruhigend zu sehen, dass es Menschen gibt, deren größtes Problem darin besteht, einen Van aufzutreiben, in dem man die paar Meter vom Hotel zur Met-Gala stehend gefahren werden kann, weil man mit dem engen Kleid nicht in der Lage wäre, sich zu setzen.

Außerdem kommt man ins Philosophieren. In der Episode etwa, in der Kim Kardashian ein Fotoshooting für den „Playboy“ hat, Mutter Kris sie dabei mit dem Handy fotografiert und „You are doing amazing, Sweetie!“ ruft. Ist das ein Sinnbild für die Postmoderne? Faszinierend ist auch, wie die Männer im Laufe der Jahre gnadenlos aus der Erzählung gedrängt wurden. Die Kardashians sind in diesem Punkt ihrer Zeit voraus: eine rein weibliche Gesellschaft, ein echtes Matriarchat. Männer hatten ihre Chancen, stellten sich aber als unzulänglich heraus. Wie in einem Science-Fiction-Roman von Ursula K. Le Guin. Selbst als Helden verehrte Stars wie Kanye West schrumpfen in ihrer Gesellschaft ins Unsichtbare. Entweder Männer werden nach einem Fehltritt nur mehr als Samenspender für die Befruchtung im Labor geduldet (Khloes Ex-Partner Tristan). Oder nach einer Trennung als melancholisch-onkelhaftes Wesen wie ein Möbelstück behandelt (Kourtneys Ex Scott).

In Wahrheit geht es wie bei jeder Kunst, die stutzen lässt, um das neu angeschaute Bekannte. „Keeping Up With The Kardashians“ erzählt Geschichten aus der Historie der Gegenwart. Da die Serie ja nun endet, könnte eigentlich die Zukunft beginnen.

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