Am 15. April in der ARD Reich-Ranicki — sein Leben als Film

Düsseldorf (RP). Schon seine Autobiografie war ein Bestseller, der 1,2 Millionen Käufer fand. Am Mittwoch ist das Leben von Marcel Reich-Ranicki als Spielfilm in der ARD zu sehen – mit Matthias Schweighöfer in der Hauptrolle. Gezeigt werden die Verfolgung durch die Nazis, das Leben im Ghetto und die Lust des Lesens.

Reich-Ranicki – sein Leben als Film
8 Bilder

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Düsseldorf (RP). Schon seine Autobiografie war ein Bestseller, der 1,2 Millionen Käufer fand. Am Mittwoch ist das Leben von Marcel Reich-Ranicki als Spielfilm in der ARD zu sehen — mit Matthias Schweighöfer in der Hauptrolle. Gezeigt werden die Verfolgung durch die Nazis, das Leben im Ghetto und die Lust des Lesens.

Wer den so Wortreichen zur Abwechslung mal einsilbig hören möchte, muss bloß diese Frage stellen: Ob denn die Literatur für ihn lebensrettend war. "Ja", sagt Marcel Reich-Ranicki in ordentlicher Lautstärke. Eine Antwort wie eine Resolution. Und erst als die Stille penetrant zu werden beginnt, legt er geringfügig nach: "Schluss, ja!" So unerschütterlich wahr ist für Marcel Reich nur wenig gewesen, für den Juden, der die Kultur Deutschlands so sehr liebt und der vor den Nazi-Schergen aus gerade diesem Land seine Haut nur unter großem Leid retten konnte.

Die kratzbürstige Entgegnung des heute 88-Jährigen ist keine Spätfolge der erlittenen Pein, der Verfolgung und Ermordung von Vater, Mutter, Bruder und so vielen anderen. Vielmehr gibt sich Marcel Reich-Ranicki auf seine so typische oder oft kolportierte Art genervt. Das heißt, er ist geschmeichelt von all dem Rummel um seine Person, der kurz vor der TV-Ausstrahlung seiner Autobiografie die bedenkenswerten Züge eines Spektakels angenommen hat.

Ohnehin ist das Ausmaß seines Ruhms (von dem die meisten Autoren hierzulande bloß träumen können) wunderlich. Über 1,2 Millionen Mal verkaufte sich seine Autobiografie "Mein Leben" von 1999; und die Spielfilm-Adaption mit Matthias Schweighöfer in der Rolle des jungen Reich wird mit Ansage ein TV-Höhepunkt dieser Tage sein.

Dabei ist der Film kaum mehr als eine zwar ordentliche, aber doch brave Nacherzählung des Buches. Ein dramatisches Leben, dargeboten im Historien-Format eines Guido Knopp. Es beginnt 1949 mit der Abberufung des jungen Reich als polnischer Konsul in London; wegen antikommunistischer Umtriebe, wie es heißt. Und es endet — weit früher als das Buch — mit der Einreise des Kritikers 1958 in Westdeutschland.

Dazwischen wird in 90 Minuten das illustriert, was er einem Stasi-Offizier in Warschau von sich und seinem Leben zu berichten hat. Das Verhör verdient seinen Namen nicht; denn schon bald ist es eine Geschichtsstunde. In ihr dominiert nur der Erzähler, während der Offizier artig zuhört und sich am Ende für das Gehörte bedankt. Keine Frage, der Stasi-Mann ist zum Schluss eine Art Anwalt des Publikums, also sind es auch wir, die den Verfolgten befragen und seine Geschichte einfordern.

Aber meint unsere Faszination wirklich nur das dramatische und tatsächlich filmreife Leben des lauten Kritikers? Oder sind wir auch gerührt von dem "Phänomen Reich-Ranicki" — von dem Schicksal einer Person, in der Glanz und Elend deutscher Vergangenheit ineinander verschmelzen: die unerschütterliche Liebe zur Hochkultur mit der Erfahrung eines beispiellosen Barbarentums. Das Leben des polnischen Juden Marcel Reich-Ranicki ist das Überleben im Land der Dichter und Denker und Henker.

"Ja — Schluss, ja!" Sein ungestümes Bekenntnis zur Kultur zieht sich auch durch den gesamten Film: Mal ist es die Tante in Berlin, die nicht müde wird, dem Kind immer und immer wieder Deutschland als das Land der Kultur zu preisen; dann seine Theaterleidenschaft; sein unstillbarer Lesedurst; schließlich sein Zuruf zur geliebten und umsorgten Ehefrau Tosia, in der Schlange der Deportierten an Dostojewski zu denken, um dann den Häschern in einer Gasse des Warschauer Ghettos zu entkommen.

Und im Kellerversteck des grobschlächtigen Bolek, bei dem das junge Paar die letzten Kriegsmonate übersteht, erzählt er jeden Abend Geschichten — um den Hausherrn gütig zu stimmen. Literatur "für ein Stück Brot oder eine Mohrrübe", wie Reich-Ranicki uns leise sagt, bevor er gleich wieder lauter wird: "Das war wichtig, müssen Sie wissen, überlebenswichtig." Ein Lebensfaden wird gesponnen wie bei Scheherazade aus 1001 Nacht. Schon bei ihr galt das Rezept: Solange wir erzählen, leben wir.

So schmerzhaft konkret triumphiert am Ende des Films die Literatur. Sein lesender Held wird gerettet und sein Aufstieg zum bekanntesten und einflussreichsten deutschen Literaturkritiker wenigstens angedeutet. Zwar begegnet er auf den Straßen Frankfurts dem einen oder anderen Nazi wieder, doch der Grundton wird immer heller und freundlicher. Das ist zu schön, um wahr zu sein und verdeckt den latenten Antisemitismus, dem Reich-Ranicki selbst im westdeutschen Literaturbetrieb später begegnen wird.

Bei allem Leid und Elend: Über den Film legt sich mitunter ein zarter Schleier des Märchenhaften. Das Grauen des Ghettos spielt in Kulissen, die wie Kulissen aussehen. Eine große Kunstwelt wird vorgeführt, in der ein glänzender Matthias Schweighöfer in der Titelrolle agiert, eine ebenso zarte wie willensstarke Katharina Schüttler als Tosia und Joachim Krol als ein Vater, der seine verhängnisvolle Lebensuntüchte eher stolz wie eine Fahne vor sich her trägt.

Vieles ist prima, manches irritierend perfekt, und Reich-Ranicki grummelt fernmündlich: "Ja, so kann man es machen." Es ist die Absolution eines Kritikers, der überlebte, weil er las, der in Romanen zur Literatur und jetzt zur Filmfigur geworden ist. Und die scheint ein echtes Spiegelbild zu sein. Eine Fortsetzung? Warum denn nicht! Mit Schweighöfer? Ja doch! Kleine Pause. Dann wieder sehr leise: Doch, das wäre sehr schön.

"Marcel Reich-Ranicki: Mein Leben" läuft am 15. April um 20.15 Uhr in der ARD

(RP)
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