Ohrfeigen-Eklat bei den Oscars Will Smiths archaisches Bild von Männlichkeit
Analyse | Düsseldorf · Alle reden über die Ohrfeige aus der Oscarnacht. Schauspieler Will Smith hat sich inzwischen für seinen Gewaltausbruch entschuldigt. Wenn auch bei den Falschen.
Will Smith ist emotional geworden. So will er selbst jedenfalls den Moment verstanden wissen, als er während der Hollywood-Gala zur Verleihung der diesjährigen Oscars auf die Bühne eilte und dem Moderator Chris Rock ins Gesicht schlug. Und nun redet die Welt in diesem Jahr nicht über grandiose Filme und gewagte Roben aus der Oscarnacht, sondern über einen Mann, der glaubte, seine Frau verteidigen zu müssen und dem dazu nichts Besseres einfiel als Gewalt auf offener Bühne. Der Szene vorausgegangen war bekanntlich ein wirklich schlechter Witz über den krankheitsbedingten Haarausfall von Jada Pinkett Smith. Doch während die Schauspielerin über den Spruch nur genervt die Augen verdrehte, geschah bei ihrem Mann das, was man später gern mit harmlosen Metaphern umkleidet: Seine Sicherungen brannten durch. Man kann auch sagen, Smith streifte für einen Moment alle Regeln des zivilen Umgangs ab und reagierte rein aus dem Affekt: Beleidigst du meine Frau, beleidigst du mich, und ich streck dich nieder. Archaische Muster. Kontrollverlust vor Millionenpublikum.
Nun gibt es offizielle Reaktionen. Die Oscar-Academy prüft, ob sie gegen Will Smith vorgeht. Ihm den Oscar für die Hauptrolle in „King Richard“ wieder abzuerkennen, wäre allerdings eine falsche Entscheidung. Schließlich ist der Oscar kein Persönlichkeitspreis, sondern einer für eine herausragende schauspielerische Leistung. Und dafür ist einzig entscheidend, wie Smith den Vater der Tennisspielerinnen Venus und Serena Williams in „King Richard“ verkörpert hat. Auf der Gala-Bühne in der Oscarnacht dagegen war ja gerade keine schauspielerische Darbietung zu erleben, sondern ein Moment reinster Reflexe. Auch wenn nun von besonders argwöhnischen Geistern dahinter schon wieder eine große PR-Kampagne vermutet wird. Die Bilder der Szene, die sich Menschen auf der ganzen Welt inzwischen wieder und wieder ansehen, sprechen eine andere Sprache: Sie zeigen einen Mann, der ungefiltert tut, was er anscheinend für seine Pflicht hält: seine Frau gegen einen Witzemacher zu verteidigen.
Beleidigung, Angriff, Rache, das sind uralte Reize, auf die moderne Menschen eigentlich nicht mehr mit Fäusten reagieren. Dachte man. Nicht nur, weil Problemlösung durch Gewalt kein besonders schlaues Verhalten ist. Sondern vor allem, weil Frauen in freien Gesellschaften nicht mehr verteidigt werden müssen. Sie können das nämlich selbst tun, wenn sie es für nötig halten. Nur für einen Moment stelle man sich vor, die Beleidigte selbst, Jada Pinkett Smith, hätte in der Oscarnacht das Wort ergriffen und nur einen Satz über falsche Ideale und die Schönheit weiblicher Körper auch ohne langes Haar gesagt, Chris Rock hätte als der Narr dagestanden, der er ist. Doch Ritter Smith wollte die Sache selbst erledigen – und hat durch sein Vorpreschen seine Frau zum zweiten Mal zum ohnmächtigen Objekt gemacht: Erst musste sie einen blöden Witz ertragen, dann die Affekte ihres Mannes. Sie selbst jedenfalls wurde in der Oscarnacht zur Passivität verdammt. Die Männer regelten das schon – untereinander.
Man könnte das alles unter Ausrutscher verbuchen. Zwar hat es Will Smith in der Oscarnacht nicht fertiggebracht, sich bei Chris Rock zu entschuldigen. Unter Tränen rang er sich nur die Einsicht ab, dass er dem Ansehen der Oscars geschadet und die Aufmerksamkeit von jenen abgelenkt habe, die sie an diesem Abend eigentlich verdient hätten: von den Künstlern, die herausragende Filme machen. Doch immerhin am nächsten Tag griffen die PR-Mechanismen wieder. Smith entschuldigte sich via Instagram auch bei Chris Rock. Und schrieb den bezeichnenden Satz, durch sein Verhalten habe er nicht den Mann abgegeben, der er sein wolle. Der Schauspieler glaubt an Selbstoptimierung und predigt dies auch seinen Fans. Darum ist der Gewaltausbruch in der Oscarnacht für ihn anscheinend Vorlage, weiter „an sich zu arbeiten“. Es geht um Auftritte, angepasstes Verhalten, das Bild, das einer in der Öffentlichkeit abgibt. Nicht um Stereotype, die in unbedachten Momenten aufbrechen und Denkweisen entlarven.
Allerdings ist Smith für seine Ohrfeige keineswegs nur kritisiert worden. Das macht den Fall über die Oscarnacht hinaus bemerkenswert. In den digitalen Netzwerken gab es auch unzählige Richtig-so-Kommentare. Männer fühlten sich bemüßigt zu erklären, dass sie genauso zugeschlagen hätten. Und natürlich gibt es auch Frauen, die der Logik von Beleidigung und Rache folgen und es toll fänden, wenn man sich um sie prügelte. Da geht es um Instinkte, um simple Formen von Anerkennung, die mit Wertschätzung wenig zu tun haben. Und das scheint gesellschaftlich akzeptierter als gedacht.
Allerdings geht es in den nachgelagerten öffentlichen Reaktionen auf den Eklat inzwischen auch um die Tatsache, dass Jada Pinkett Smith wegen einer Krankheit beleidigt wurde. Das weckt nicht nur Beschützerinstinkte – beim Publikum weltweit, es rückt auch die Krankheit selbst in den Fokus. Und das immerhin ist ein positiver Effekt. Denn es ermutigt Frauen, öffentlich darüber zu sprechen, wie sehr Haarverlust ihre Identität angreift und wie schmerzlich es ist, damit offen umzugehen. Indem darüber nun gesprochen wird, weitere Schauspielerinnen sich zu schütterem Haar bekennen, geschieht nun nachträglich, was in der Oscarnacht unterblieben ist: Es gibt verbale Reaktionen auf einen unsäglichen Scherz. Die vermeintlichen Opfer ermächtigen sich – der Narr bleibt beschämt zurück.
Mit reichlich Verzögerung hat Will Smith nach den Regeln der PR inzwischen alles richtig gemacht: Er hat Gewalt verdammt, sich bei Chris Rock entschuldigt und gegenüber der Oscar-Academy Demut gezeigt. Das Eigentliche aber ist ihm nicht in den Sinn gekommen: eine Entschuldigung bei seiner Frau.