Verleihung am 27. März Warum Kristen Stewart den Oscar bekommen sollte
Die 31-jährige Amerikanerin ist nicht nur eine außergewöhnliche Schauspielerin. Sie leiht auch einer Ära ihr Gesicht. Das sollte belohnt werden.
Ein Oscar soll eine herausragende Leistung belohnen, und im besten Fall zeichnet er zudem eine Künstlerin aus, die für ihre Zeit steht und einer Ära ihr Gesicht leiht. Schaut man sich die diesjährigen Nominierten in der Kategorie Beste Hauptdarstellerin an, kann es so gesehen eigentlich nur eine Wahl geben: Kristen Stewart müsste den Oscar bekommen, für ihr Spiel in „Spencer“ ebenso wie für ihre Gegenwärtigkeit.
„Spencer“ von Pablo Larráin ist ein dorniger Film, die 31-jährige Amerikanerin spielt darin Prinzessin Diana, die drei Weihnachtstage mit der dysfunktionalen und ihr in akuter Abneigung verbundenen Windsor-Familie auf Schloss Sandringham verbringt. Wie verkörpert man eine Frau, die ein moderner Mythos ist, millionenfach fotografiert und von allen Seiten auspsychologisiert wurde? Stewart studiert sie, verleibt sie sich ein, jede Geste sitzt, vier Monate hat sie allein darauf verwendet, sich ihren Akzent anzueignen.

Das sind die Oscar-Nominierungen 2023
Im zweiten Schritt variiert sie die historische Figur, lässt durchscheinen, was möglich gewesen wäre, und stellt die Frage, ob man all die Jahre nicht einer Projektion erlegen ist und diesem Menschen Unrecht getan hat. Es ist ein essayistischer Schauspiel-Ansatz. Stewart wird allmählich zu einem Gespenst, das durchsichtig anmutet und Diana schließlich mit den eigenen Erfahrungen als Opfer der Paparazzi engführt.
Als Achtzehnjährige wurde die in Los Angeles geborene Kristen Stewart 2008 in der Rolle der Bella Swan weltberühmt. Sie war damals die bestbezahlte Schauspielerin Hollywoods. In den vier Teilen der „Twilight“-Reihe trat sie als Mädchen auf, das sich in einen von Robert Pattinson gespielten Vampir verliebt. Wie irre der Starkult war, zeigt, dass Donald Trump die Gerüchte über eine Trennung der auch privat liierten Schauspieler via Twitter kommentierte. Unter anderem so: „Sei schlau, Robert, verlasse sie.“
Dass Stewart diesem Rummel und der Gefahr, auf ewig die Bella zu bleiben, entging, liegt auch an ihren guten Beratern. Zu denen gehört Jodie Foster, mit der Stewart als Elfjährige in „Panic Room“ spielte. Foster empfahl, künftig Blockbuster-Produktionen und Arthouse-Filme zu kombinieren, das schütze vor Festlegungen. Stewart hielt sich dran. Neben US-Mainstream-Hits wie „Snow White And The Huntsman“ dreht sie französische Autorenfilme wie „Wolken über Sils Maria“ und „Personal Shopper“. Sie bekam als erste Amerikanerin den César. Und am besten ist sie, wenn sie selbstverloren wie im Traum agiert, wenn das Publikum nicht weiß, ob es selbst bloß träumt, was auf der Leinwand zu sehen ist.
Bei öffentlichen Auftritten wirkt die mit der Drehbuchautorin Dylan Meyer verlobte Stewart mitunter beklommen und schüchtern, das täuscht jedoch darüber hinweg, dass sie den Betrieb selbstbewusst aufmischt. Über den Roten Teppich in Cannes, auf dem ja ein absurdes High-High-Heel-Gebot für Frauen herrscht, schritt sie barfuß zur Premiere. Sie war sich der Signalwirkung der Aktion bewusst.
Es ist faszinierend, Stewart zuzusehen, bei Glamour-Veranstaltungen ebenso wie im Kino. Sie entzieht sich und ist doch präsent. Sie wirkt auf hohem Niveau unbehaust und und ist doch voll da. Sie kann übergangslos aus einem Zustand größter Zerbrechlichkeit zu unverbrüchlicher Härte wechseln. „Spencer“ ist sicher kein klassischer Oscar-Film, er hat nur eine Nominierung erhalten. Eine enorme Leistung ist es indes, dass Stewart die übermächtig scheinenden Bilder der echten Diana vergessen lässt.
Allein dafür hat sie den Oscar verdient.
Info Die Oscars werden am 27. März vergeben. Als beste Hauptdarstellerin sind außerdem nominiert: Jessica Chastain für „The Eyes of Tammy Faye“, Olivia Colman für „Frau im Dunkeln“, Penélope Cruz für „Parallele Mütter“ und Nicole Kidman für „Being the Ricardos“.