Kino Darf ein Kriegsfilm so gut aussehen?

Meinung Der in zehn Kategorien für den Oscar nominierte Kinofilm „1917“ erzählt auf ästhetisch grandiose Weise vom Ersten Weltkrieg. Für einen Kriegsfilm womöglich etwas zu grandios. Denn das Grauen wird von der Ästhetik in Schach gehalten.

Schofield (George MacKay, l.) und Blake (Dean-Charles Chapman) müssen eine Nachricht an eine andere Einheit überbringen.

Schofield (George MacKay, l.) und Blake (Dean-Charles Chapman) müssen eine Nachricht an eine andere Einheit überbringen.

Foto: Universal Pictures

Im Kino läuft zurzeit ein Film, der grandios gemacht ist und manchen Zuschauer dennoch mit einem unguten Gefühl nach Hause gehen lässt. „1917“ heißt diese Produktion, der Brite Sam Mendes führte Regie, und er erzählt eine Geschichte aus dem Ersten Weltkrieg. Mendes wurde zu diesem Werk von seinem Großvater Alfred H. Mendes inspiriert.

Der hatte als Lance Corporal an der Westfront gekämpft und Eilmeldungen von Posten zu Posten gebracht. Sein Enkel knüpft nun aus diesen Erinnerungen eine Geschichte, die er zwei fiktive Soldaten erleben lässt. Ein Antikriegsfilm soll das sein, ein Film, der daran gemahnt, wie grauenhaft Krieg ist. Mendes erzählt indes so virtuos und mit so schönen Bildern, dass die ästhetische Formalisierung das Grauen über weite Strecken in Schach hält. Man fragt sich: Darf ein Kriegsfilm so gut aussehen?

Der Clou von „1917“ ist, dass man meint, er sei in einem Take aufgenommen. Es gibt zwar Schnitte, die sind aber gut versteckt; man nimmt sie kaum wahr. Die Kamera heftet sich an die Fersen zweier Kameraden, die ausgewählt wurden, das Niemandsland zwischen den feindlichen Schützengräben zu überwinden. Es ist der 6. April 1917, und Schofield und Blake müssen eine Nachricht an eine andere britische Kompanie überbringen. Wenn sie es nicht schaffen, sterben 1600 Kameraden, darunter Blakes Bruder.

Der Zuschauer wird zum dritten Gefährten, der hautnah dabei ist, wie die jungen Männer durch Bombenkrater robben, über Stacheldraht steigen, durch unterirdische Gänge irren und von einem Fluss mitgerissen werden. Dieser Effekt der gesteigerten Unmittelbarkeit sorgt im Zusammenspiel mit den bisweilen märchenhaft schönen Bildern von Kameramann Roger Deakins dafür, dass das Kinoerlebnis zur Fahrt in der Geisterbahn wird: „1917“ mutet an wie ein Videospiel. Abenteuerland Erster Weltkrieg. Themenpark Stahlgewitter.

Regisseure lieben es, vom Krieg zu erzählen. Sie dürfen dann zeigen, was sie können, denn Kriegsfilme sind stets Logistikfestivals und Spiegel der technischen Möglichkeiten ihrer Zeit. Die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen bezeichnet das Genre in ihrem Buch „Hollywoods Kriege“ als „Formfeier“. Problematisch wird es, wenn Filme sich ihrer Form allzu bewusst sind. Das Überwältigtsein von der ästhetischen Erfahrung steht dann in einem Missverhältnis zur Fähigkeit, sie zu begreifen. Oder anders gesagt: Die Erschütterung über den historischen Krieg ist geringer als die Begeisterung über seine zeitgenössische Aufbereitung.

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Foto: dpa/Chris Pizzello

Der Erste Weltkrieg war, zumal an der Westfront, ein langsamer Krieg. Deshalb ist er bei Filmemachern nicht so beliebt. Deutsche, Franzosen und Engländer kämpften in Frankreich um ein paar Meter Land. Die Soldaten mussten in Unterstände gepfercht ausharren. Sie warteten buchstäblich auf den Tod, in den Ranghöhere sie per Befehl schickten.

„1917“ vermittelt ein anderes Bild. Der Film legt nahe, der Einzelne hätte es in der Hand gehabt, durch beherztes Eingreifen etwas zu verändern. „1917“ ordnet das Chaos durch ein Narrativ, das den einfachen Soldaten, der in diesem Krieg keine Rolle spielte, sondern namenloses Kanonenfutter war, zum Helden stilisiert.

Der Kriegsfilm reflektiert und formt, wie wir Krieg in der tatsächlichen Welt sehen und verstehen, hat Elisabeth Bronfen jüngst in der Sendung „Lakonisch Elegant“ des Deutschlandfunks gesagt. Das Kino ist insofern ein privilegierter Ort der Erinnerung. Filme wie „Full Metal Jacket“ und „Apocalypse Now“ ermöglichten die Reflexion über Vietnam. Auch Terrence Malicks Film „Der schmale Grat“, der Krieg aus Sicht der Natur erzählt, stellte seine Kunstfertigkeit in den Dienst des Appells. Diese Produktionen rufen dem Zuschauer auf neue und umso eindringlichere Weise zu: Seht, wie sinnlos das alles war. „1917“ wirkt dagegen streckenweise wie ein Ausflug in die Laser-Tag-Halle. Daran ändert auch nichts, dass sich Sam Mendes in den letzten zehn Minuten zwingt, alles Versäumte nachzuholen: Dann bekommt man eingebimst, dass die Front ein Ort sinnlosen Sterbens ist.

Der erschütterndste Spielfilm über den Ersten Weltkrieg bleibt also Lewis Milestones Verfilmung des Remarque-Romans „Im Westen nichts Neues“ aus dem Jahr 1930. In der gespenstischen Schlussszene werden Bilder der längst getöteten Soldaten, von denen hier erzählt wurde, über Bilder von ihren Gräbern geblendet. Der Protagonist wird herausgehoben, er sieht dem Zuschauer direkt und fragend ins Gesicht: ein Geisterblick aus dem Reich des Todes.

Es gilt für den Kriegsfilm, was auf der Texttafel steht, die am Anfang von „Im Westen nichts Neues“ eingeblendet wird: „Diese Geschichte ist weder eine Anklage, noch ein Schuldbekenntnis, und am wenigsten ist sie ein Abenteuer, denn der Tod ist kein Abenteuer für diejenigen, die ihm ins Auge blicken.“

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