Interview zum Filmstart von "Der Kaufmann von Venedig" Lynn Collins ist vom Klassik-Virus infiziert

München (rpo). Auf der Theaterbühne brillierte Lynn Collins bereits viele Male als Shakespeare-Heroin. In Michael Radfords Shakespeare-Adaption "Der Kaufmann von Venedig" spielt sie nun die schöne Portia – für die gebürtige Texanerin ist es die erste große Leinwandrolle. Neben Hollywood-Stars wie Al Pacino, Jeremy Irons und Joseph Fiennes zu spielen, war für Lynn Collins mehr als nur eine Frage der Ehre. Tatsächlich erwies sich ihr großes Kinodebüt als eine der außergewöhnlichsten Erfahrungen ihres Lebens, wie sie im Interview erzählte.

Der Kaufmann von Venedig
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Foto: Sony Pictures

Frau Collins, Sie sind eine erfahrene Shakespeare-Schauspielerin. Hatten Sie die Rolle der Portia bereits zuvor auf der Bühne gespielt?
Nein. Ich habe u.a. die Rosalind aus "Wie es euch gefällt", die Ophelia aus "Hamlet" oder die Helena aus "Ein Sommernachtstraum" gespielt. Um ehrlich zu sein hat mir "Der Kaufmann von Vendig" nie so recht gefallen. Erst als ich Michael Radfords Drehbuch las, bekam ich einen völlig neuen Zugang zu dem Stück.

Warum hat Ihnen das Stück zuvor nicht gefallen?
Ich habe es zum ersten Mal in der Highschool gelesen, war damals bereits ein großer Shakespeare-Fan. Aber das, was Shakespeare über die Juden schrieb, hat mich wahnsinnig schockiert. Immerhin wurde das Stück von den Nazis für anti-semitische Zwecke eingespannt. Am liebsten hätte ich die Tatsache verdrängt, dass Shakespeare je so etwas verfasst hat. Aber nun sehe ich das Stück mit anderen Augen. Wir haben im Film etwas von jener Realität heraufbeschworen, die im 16. Jahrhundert tatsächlich existierte. Und damit habe ich kein Problem.

Ist "Der Kaufmann von Venedig" Ihrer Ansicht nach anti-semitisch?
Heute denke ich das nicht mehr. Zu Shakespeares Zeit gab es eine Menge anti-semitischer Stücke. Tatsächlich hat Shakespeare den jüdischen Stereotypen eher untergraben, statt ihn vorzuführen, und hat versucht, ihm mit der Figur des Shylock menschliche Züge zu verleihen.

Hat es Spaß gemacht, die begehrte Nobeldame zu spielen, deren Verehrer Schlange stehen?
Und wie! Zumal meine bisherigen Kinoerfahrungen darauf beschränkt waren, die verlassene Dumpfbacke zu spielen, wie etwa in "50 erste Dates". Ich kann Ihnen sagen, ich habe einen verrückten Weg hinter mir. Bei Castings hörte ich ständig so paradoxe Sachen wie "Nein, Sie sehen zu exotisch aus" oder "Nein, Sie sehen nicht exotisch genug aus". Es tat gut, in der Rolle der Portia ganz offiziell die "schöne Lady" zu spielen. Ich war nämlich langsam schon mit meinen Komplexen per Du (lacht).

Wie erging es Ihnen als Texanerin unter britischen Schauspielern wie Jeremy Irons und Joseph Fiennes?
Ich bin sozusagen "britannisiert". Mit 16 habe ich einen Sommer lang Shakespeare in Oxford studiert, bin außedem in Singapur aufgewachsen. Deshalb fühle ich mich nicht wirklich amerikanisch. Und: Ich bin mit einem Briten liiert. Gut möglich, dass ich demnächst zu ihm ziehe. Meine Telefonrechnung wird mir langsam zu teuer.

Wie war der "Al-Pacino-Effekt" während der Dreharbeiten?
Oh Mann! Al Pacino ist einfach unglaublich. Er ist durch und durch Schauspieler und mit dem ganzen Herzen bei der Sache. Man kann sich mit ihm stundenlang über eine einzige Szene unterhalten, ohne dass er es müde wird. Er liebt seinen Job und steckt alle mit seiner Begeisterung an. Manche Leute machen sich darüber lustig, aber ich finde es bewundernswert.

Hatten Sie zu Beginn der Dreharbeiten Berührungsängste?
Ein bisschen schon. Michael Radford hat mich irgendwann zur Seite genommen und erklärt: "Hör endlich auf, Jeremy Irons und Al Pacino wie Weltwunder anzustarren! Du spielst die Portia, und das bedeutet, dass du ihnen Feuer unter'm Hintern machen musst." Diese Ansage hat geholfen (lacht). Also habe ich mich permanent daran erinnert, dass auch Hollywood-Stars ganz normal aufs Klo gehen und menschliche Wesen sind.

Werden im Angesicht von Shakespeare nicht alle Schauspieler ehrfürchtig – egal, wie berühmt sie sind?
Ja, das habe ich auch gemerkt. Keiner der "Stars" hatte Ego-Anwandlungen. Im Gegenteil. Während der Dreharbeiten bestand mehrmals die Gefahr, dass die Finanzierung zusammenbrechen könnte. Dennoch haben alle mit Leidenschaft und Liebe weitergemacht.

Was war mit der Finanzierung los?
Zur gleichen Zeit als wir gedreht haben, sind in England vier andere Filme aufgrund von finanziellen Problemen eingestellt worden. Es hätte uns jederzeit auch treffen können. Welche Dramen sich diesbezüglich hinter den Kulissen abgespielt haben, habe ich erst hinterher erfahren. Tatsächlich war es wohl so, dass an manchen Tagen nicht klar war, ob die Hotelzimmer überhaupt gezahlt werden können. Wenn ich den Film heute anschaue, bin ich umso stolzer und sehr dankbar, dass wir dieses wundervolle Projekt realisieren konnten.

Können Sie sich mit Portia identifiezieren?
Ja. Zu Beginn des Films ist sie eine Frau ohne Entscheidungsfreiheit. Sie leidet darunter, dass sie eingesperrt ist und ihre Intelligenz nicht nutzen kann. Erst durch ihre Liebe zu Bassanio bekommt sie die Kraft, sich selbst zu befreien. Sie wagt es sogar, sich verkleidet in die Männerwelt einzuschleichen. Man bedenke: Eine Frau in Männerkleidung wäre damals getötet worden - egal, welchem Stand sie angehörte. Am Ende reift Portia zu einer Frau, die ihr Leben selbst bestimmt und sich dennoch ein Stück Unschuld bewahren konnte. Meine persönliche Reise während der Dreharbeiten ist mit Portias Wandlung vergleichbar.

Welche Shakespeare-Heldin steht Ihnen persönlich am nächsten?
Jede Figur hat zu der Zeit, in der ich sie gespielt habe, einen Teil von mir widergespiegelt. Meine erste Bühnenrolle war die Ophelia, übrigens neben Liev Schreiber als Hamlet. Damals war ich selber eine ziemlich verrückte Person, deshalb passte die Rolle wie die Faust aufs Auge (lacht). Inzwischen ist Portia mir näher, weil ich älter und reifer geworden bin. Als nächstes würde ich gerne Lady Macbeth oder Kleopatra spielen.

Warum lieben Sie Shakespeare so sehr?
Klingt ungewöhnlich für eine Texanerin, oder (lacht)? Ich glaube, Shakespeare hat mich schon als Teenie fasziniert, weil seine Texte das erforderliche Maß an intellektueller Stimulation haben, das ich brauche, um konzentriert bei der Sache zu bleiben. Zudem ermöglichen mir seine Stücke, genau das auszudrücken, was ich fühle. Es gibt 500 verschiedene Möglichkeiten, eine einzelne Shakespeare-Zeile zu interpretieren. Worauf es am Ende ankommt ist, was diese Zeile für einen selber bedeutet.

Stichwort "intellektuelle Stimulation" - wie konnten Sie sich denn bei den Dreharbeiten zu "50 erste Dates" konzentrieren?
Gar nicht (lacht). Ich meine: Wir waren auf Hawaii, da muss man sich nicht unbedingt konzentrieren, oder? Im Ernst, ich hatte nur eine kleine Szene zu Beginn des Films. Alles, was ich tun musste, war, mich von Adam Sandler abservieren zu lassen und dabei so niedlich wie möglich auszusehen (lacht).

Momentan kommen mit "Der Kaufmann von Venedig" und "Vanity Fair" vermehrt Verfilmungen britischer Literaturklassiker ins Kino. Wie erklären Sie sich das?
Wer als Schauspieler ernst genommen werden will, muss sich mit dem britischen Drama auseinandersetzen. Allein aus Respekt vor der Historie und der Tradition. Allerdings bin ich in meinem Freundeskreis die einzige, die vom "Klassiker-Virus" geradezu befallen ist. Ich habe eine Zeit lang in LA gewohnt – und in der ganzen Stadt keinen Menschen gefunden, mit dem ich mich über klassische Literatur hätte unterhalten können.

Sie erwähnten zuvor, dass Sie in Singapur aufgewachsen sind. Können Sie darüber mehr erzählen?
Ich wurde in Houston geboren und bin im Alter von vier Jahren mit meinen Eltern nach Singapur gezogen. Als ich zehn war, sind wir in die USA zurückgekehrt und haben uns in Dallas niedergelassen. Die Highschool habe ich innerhalb von drei Jahren beendet, weil ich sozusagen "sozial inkompatibel" war. Danach bin ich für ein Semester nach Oxford gegangen, um an der Drama Academy zu studieren. Dort war übrigens Jeremy Irons unter meinen Dozenten. Ich war damals geradezu verrückt nach ihm.

Hat sich Jeremy Irons nun an Sie erinnert?
Er sagte zwar, er könne sich daran erinnern, dass ich ihn einmal um ein Autogramm gebeten habe, aber das nehme ich ihm nicht ab (lacht). Ich weiß noch, wie er immer seine Zigaretten herunterbrennen ließ, ohne die Asche abzutippen. Ich konnte mich gar nicht auf seinen Unterricht konzentrieren, weil ich wie hypnotisiert auf den wachsenden Ascheturm auf seiner Zigarette gestarrt habe. Ich glaube, Jeremy Irons war damals der Grund, warum ich angefangen habe zu rauchen (kichert).

Warum bezeichnen Sie sich rückblickend als "sozial inkompatibel"?
Da ich in Asien aufgewachsen bin, war ich mit einigen Dingen einfach nicht vertraut. Singapur war damals noch nicht die kosmopolitische Metropole, die es heute ist. Ich habe nicht verstanden, dass man bestimmte Klamotten oder Haarschnitte tragen musste, weil sie gerade angesagt waren. Oder dass man keine rote Hosen zu pinkfarbenen Pullis tragen durfte. Auch mein Kurzhaarschnitt war schlichtweg "out". Im Gegensatz zu anderen Mädchen war ich nicht mal in der Lage, meinen Pony zu einer feschen Fönwelle zu stylen.

Wurden Sie gehänselt?
Außer, dass die Lehrer wegen meiner Kurzhaarfrisur ständig dachten, ich sei ein Junge? Nein. Ich muss zugeben, dass ich als Teenie ganz schön wild und unausstehlich war. Ich hatte einen enormen Drang, der Highschool zu entkommen, und die große weite Welt kennen zu lernen. Ich hatte zwar nur einen kleinen Freundeskreis, aber mit diesen Menschen bin ich bis heute befreundet. Ich habe also nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben, im Gegenteil.

Sie verraten Ihr Alter nicht. Warum?
Aus demselben Grund, aus dem ich ständig meine Haarfarbe wechsle. Ich will nicht auf einen Typ festgelegt werden. Die Leute sollen mir meine unterschiedlichen Rollen abnehmen und nicht an mein Image denken, wenn sie mich auf der Leinwand sehen. Ich will kein Popstar werden, sondern eine gute Schauspielerin.

Welche Rolle spielen Sie als nächstes?
Auf jeden Fall keine Shakespeare-Heldin. Sonst komme ich aus dieser Schublade nie wieder raus. Es ist verrückt: Nun, da ich endlich aus einer Fülle an Rollen auswählen kann, muss ich umso vorsichtiger sein, welchen Schritt ich als nächstes gehe. So gern ich alle Rollen auf einmal spielen würde, so fatal wäre es, ausgerechnet jetzt das falsche Angebot auszuwählen. Ich will kein "one-hit-wonder" sein, sondern noch möglichst lange auf der Bildfläche präsent bleiben.

(rpo)
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