Kinostart von "The Circle" So tickt also das Internet

Düsseldorf · "The Circle" mit Emma Watson hätte der Film der Stunde werden können. Doch die Adaption des Romans von Dave Eggers enttäuscht.

 Emma Watson in ihrer Rolle als Mae, die arglos beim Internet-Giganten "The Circle" anheuert.

Emma Watson in ihrer Rolle als Mae, die arglos beim Internet-Giganten "The Circle" anheuert.

Foto: Universum

An diesem Film kann man gut ablesen, dass das Kino und womöglich die Kunst im Allgemeinen noch keine Antwort auf die Frage gefunden haben, wie man Gegenwart ins Bild setzt. Sehr viele Menschen verbringen sehr große Teile ihrer Tage vor Bildschirmen sitzend und über Displays gebeugt, und während sie das tun, passiert etwas mit ihren Augen und in ihren Köpfen. Die Gefühle der Menschen verändern sich, ihr Denken ist in Bewegung, ihr Puls reagiert.

Es geht etwas vor in diesen Zeitgenossen, und was da vor sich geht, ist das Thema des Films "The Circle". Regisseur James Ponsoldt müsste also in die Menschen hineinsehen, Schwingungen auffangen, Atmosphären bestimmen, Synapsen und Neuronen in den Blick nehmen, Erregungsgrade messen. Stattdessen setzt er Emma Watson vor einen Monitor und lässt sie so gucken, als sei sie doof.

"The Circle" ist die Verfilmung des gleichnamigen Weltbestsellers von Dave Eggers aus dem Jahr 2013. Der schnell geschriebene Text ist weniger Roman als Kolportage und Pamphlet. Eggers gibt sich zwischen den Zeilen dieses Buches nicht in erster Linie als Künstler zu erkennen, sondern als engagierter Zeitgenosse. "The Circle" ist seine Zeitschrift - eine Schrift zur Zeit.

Sie erzählt von Mae, die einen Job findet bei "The Circle" in Kalifornien. Dieses Unternehmen ist Google, Facebook und Apple in einem. Es stattet die Menschen mit Geräten aus und reguliert 90 Prozent der Datenströme - der Konzern als Weltmacht. Mae macht mit, "sie öffnet die Schleusen", wie es im Buch heißt, wenn Nachrichten und Mails auf sie einprasseln, und am Ende hat sie vergessen, wie man die Schleusen schließt. Sie kommuniziert rund um die Uhr und lässt sich darauf ein, eine "SeeChange" genannte Kamera von der Größe eines Lollis vor der Brust zu tragen: Sie ist transparent, eine Mensch-Maschine, die für andere agiert und sich selbst verliert.

Es geht also um die Konstruktion und Dekonstruktion von Privatheit, um Privatheit als Eigentum mächtiger Firmen. Es geht um den Wertewechsel in der Smartphone-Ära, und wenn man all das auf die Leinwand übertragen möchte - vier Jahre nach Erscheinen des Buches -, müsste man zumindest versuchen, die Bildersprache von morgen zu finden. Man müsste visuelle Entsprechungen für unsere verlinkten Wege durch das Internet kreieren.

James Ponsoldt erzählt aber lieber konventionell. Sein "Circle" ist ein Film mit erhobenem Zeigefinger. Tom Hanks spielt den Chef des "Circle", er hat indes nichts Charismatisches, und Emma Watson ist Mae. Ihre größte Leistung besteht darin, einen erstaunten Gesichtsausdruck zu kultivieren, der davon ablenkt, dass sie im echten Leben virtuos die sozialen Netzwerke bedient: 35 Millionen Freunde bei Facebook, 40 Millionen Follower bei Instagram.

Manchmal wehen SMS in hübschen Wölkchen über das Bild, manchmal wird ein Bildschirm durchsichtig und Schrift huscht über die Leinwand. Das war es. Meistens sieht man Monitore von hinten, die Digitalisierung als Märklin-H0-Idylle. Im Grunde ist der Regisseur nicht an der Gegenwart interessiert, an der Zukunft schon gar nicht. Sonst hätte er sich zum Beispiel von dem US-Schriftsteller Joshua Cohen inspirieren lassen.

Der wagt in seinem Roman "Book Of Numbers" die Angleichung der Sprache an den Fluss des Datenverkehrs. Er erzählt von einem Schriftsteller, der als Ghostwriter die Biografie eines Internet-Moguls schreiben soll, und er druckt Interview-Transkripte ab, E-Mails, Blogeinträge, Buchentwürfe inklusive durchgestrichener Passagen, und er erfindet clevere Neologismen. Je mehr Cohens Hauptfigur in den Einflussbereich des Data-Meisters gerät, desto stärker löst sich ihre Sprache auf. Sie wird schließlich zu einem interpunktionslosen Rauschen, zum auslesbaren Code.

Joshua Cohen ist einer der wenigen Künstler, denen es gelingt, formal aufregend Gegenwart abzubilden. Der amerikanische Medienkritiker Kenneth Goldsmith beklagte jüngst, dass die Herausforderungen unseres Lebens so gut wie gar nicht Eingang finden in literarische Texte. Wann liest man schon mal, dass eine Figur Computerprobleme hat?

Für das Kino gilt dasselbe. Bisweilen huschen Kurznachrichten über das Bild, die TV-Reihe "Sherlock" hat diesen Effekt womöglich am weitesten getrieben und zudem schlüssig mit der Handlung verflochten. Anderswo wirken solche Einfälle wie Fremdkörper. "The Circle" tut nun so, als wäre die Welt, die im Film geschildert wird, ein irrwitziger Zukunftsentwurf, Science-Fiction. Dabei war schon der Roman keine Dystopie, sondern eine Imitation. Dass das meiste, was Eggers schildert, längst eingetroffen ist, blendet Ponsoldt aus. Er glaubt offenbar, dass es noch ein Zurück gibt zum analogen Urzustand.

So inszeniert er Maes Jugendfreund Mercer als Naturburschen, der ohne Smartphone im Wald lebt, und Mae vorhält, sie sei netter und aufregender gewesen, bevor sie sich dem "Circle" anschloss. Und als sie planen, sich mal zu treffen, und Mae sagt, sie werde ihm eine SMS schicken, entgegnet er: Wir können uns doch einfach jetzt verabreden. Er hat etwas von dem überforderten Starbucks-Kunden, der zwischen Gingerbread-Chai und Caramel-Frappuccino ruft: Ich möchte doch nur einen Filterkaffee. "Der Circle" ist voller Ressentiment gegen und Klischees über die Digitalisierung. Keine gute Voraussetzung für einen Film über die Gegenwart.

The Circle, USA 2017 - Regie: James Ponsoldt, mit Emma Watson, Tom Hanks, Karen Gillan, 110 Min.

(hols)
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