Film von Nuri Bilge Ceylan "Winterschlaf": Elegische Bilder einer Lebenskrise

Berlin · Man muss sich als Zuschauer einlassen auf diesen Film, Geduld aufbringen für die allmählich sich entfaltende Studie einer Lebenskrise vor dem Hintergrund der grandiosen Felslandschaft im türkischen Kappadokien.

Nihal (Melisa Sözen) wohnt mit ihrem zynischen Mann in einem kleinen Hotel.

Nihal (Melisa Sözen) wohnt mit ihrem zynischen Mann in einem kleinen Hotel.

Foto: dpa, ImY

Regisseur Nuri Bilge Ceylan ("Once Upon a Time in Anatolia") entwirft in drei Stunden Spielzeit von "Winterschlaf" das facettenreiche, immer neu beleuchtete Porträt eines Intellektuellen, der privat und beruflich in der Sackgasse steckt. Ein Mann auf verlorenem Posten am Ende der Welt. Und der Winter naht. Beim Filmfest Cannes gab es dafür in diesem Jahr die Goldene Palme.

Aydin (Haluk Bilginer) war früher Theaterschauspieler. Jetzt betreibt der wohlhabende Intellektuelle zusammen mit seiner jungen Frau Nihal (Melisa Sözen) und seiner geschiedenen Schwester Necla (Demet Akbag) ein verwinkeltes Hotel, das sich ganz natürlich in die Felsen einfügt. Wie kleine Höhlen wirken die meist fensterlosen Räume in diesem verwunschenen Haus, in dem allein Aydin das Sagen hat.

In langen Dialogen seziert der Film wie in einem Tschechow-Drama das Beziehungsgeflecht und die Machtstrukturen zwischen den drei Figuren. Aydins Ehe steckt in der Krise, seine Frau Nihal kämpft um ihre Unabhängigkeit, und die Schwester fühlt sich schon lange als Anhängsel. Auch Aydin wird den eigenen Ansprüchen nicht gerecht. Sein Buchprojekt über das türkische Theater kommt nicht voran, er hat zudem Ärger mit den Dorfbewohnern. Seine Selbstgerechtigkeit macht ihn blind für die Bedürfnisse anderer. Als der Winter gekommen ist, will Aydin mit dem Zug nach Istanbul reisen. Aber er kommt nur bis ins nächste Dorf, wo er bei einem Freund sein Selbstmitleid in Rotwein ertränkt.

Der Regisseur erkundet in Kreisbewegungen eine Seelenlandschaft, die in Erstarrung geraten ist. Dabei gibt es in den ausführlichen Gesprächen keine direkten Anspielungen auf die aktuelle türkische Politik. Nuri Bilge Ceylans kunstvoll komponierten Film kann man natürlich dennoch als Parabel lesen auf Lethargie und Erstarrung in einem Land, das in einem langen Winterschlaf gefallen ist.

(dpa)
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