Kino-Kritik Verbrüderung in Indien

Düsseldorf (RP). In einem nachgelassenen Aphorismus Otto Weiningers heißt es, von einem Bahnhof aus könne man niemals in die Freiheit fahren. Trotzdem wählen die drei ungleichen Brüder Whitman in Wes Andersons neuestem Streich "Darjeeling Limited" ausgerechnet einen pittoresken indischen Überlandzug, um ihre über die Jahre abgekühlte Beziehung durch eine gemeinsam erlebte spirituelle Reise-Erfahrung aufzufrischen.

 Jason Schwartzman, Owen Willson und Adrien Brody (von links) in "Darjeeling Limited".

Jason Schwartzman, Owen Willson und Adrien Brody (von links) in "Darjeeling Limited".

Foto: Fox

Bei Andersons detailverliebten, manchmal fast manieriert wirkenden Studien über dysfunktionale Familien wie die "Royal Tenenbaums" geht es doch eigentlich stets um wenig mehr als nichts. Da kann es auch schon mal passieren, dass man einen seiner Filme glatt vergisst — etwa "Die Tiefseetaucher". Bis man sich plötzlich daran erinnert, dass diese Jacques-Cousteau- Hommage doch der Film war, in dem Seu Jorge alte David Bowie- Songs zur akustischen Gitarre wunderbar brasilianisiert vortrug.

So zeigte bislang jeder Anderson-Film mindestens ein kleines Extra, das dann letztlich doch für ihn und insbesondere seinen spleenigen Macher einnahm. Das ist auch beim Railroadmovie "Darjeeling Limited" so, der zunächst einmal mit Farben und Ornamenten überwältigt, aber eigentlich vom Erzählen selbst, von den Bedingungen des Erzählens handelt.

Dafür wird zunächst ordentlich Ballast abgeworfen, zuvörderst der hier stets unvermeidliche Bill Murray, mit dessen vergeblichem Versuch, einen Zug pünktlich zu erreichen, wir eingangs überrascht werden. Im Gegensatz zu Murray entern die Brüder Francis (Owen Wilson), Peter (Adrien Brody) und Jack (Jason Schwartzman) Whitman in letzter Sekunde mit ihren stylishen Louis-Vuitton-Koffern den Zug — und das Abenteuer kann beginnen.

"Darjeeling Limited" geht höchst verschwenderisch mit unserer Zeit um. Noch vor Beginn des Hauptfilms erwartet uns ein 13-minütiger Kurzfilm mit dem Titel "Hotel Chevalier", in Paris spielend, mit Musik von Peter Sarstedt, erzählend von der melancholischen Begegnung von Jack und seiner Ex-Geliebten, gespielt von Natalie Portman.

Pure Atmospäre, die sehr charmant auf die Stimmung des Folgenden vorgreift. Der Hauptfilm variiert dann eine dieser schrägen Familiengeschichten, die Andersons Ruhm begründet haben. Vater tot, Mutter eine glückliche Nonne in einem Himalaya-Kloster, die drei Brüder allesamt schwerst neurotisch, begeben sich nach Indien, um sich und der Mutter näherzukommen. Das ist nötig, denn ihre Beziehungen sind geprägt von alten, gut geölten Konflikten.

Indien ist hier ein knallbuntes Fantasieland, in dem sich Züge verfahren, Schaffner schon mal böse und Schuhputzer zu Schuhdieben werden können. Natürlich interessiert sich Anderson nicht die Bohne für Indien, aber die Brüder Whitman sind ihrerseits auch so mit sich selbst beschäftigt, dass es nur für karge spirituelle Impressionen reicht. Impressionen wie Indien rieche "kinda spicy" — irgendwie würzig.

Immer wieder blicken wir am Ende langer Kamerafahrten in die ausdruckslosen Gesichter der drei Brüder, die hier durchs Leben stolpern, als sei "Darjeeling Limited" der seit Jahrzehnten ersehnte dritte Beatles-Film von Richard Lester. Stilsicher und geschmackvoll gibt es viel Musik aus indischen Filmklassikern von Satyajit Ray, den Kinks, den Rolling Stones, Joe Dassin (unbedingt wiederentdecken!) oder eben Peter Sarstedt zu hören und viele liebevoll arrangierte Details zu entdecken.

Man kann "Darjeeling Limited" mit gutem Recht für eine grauenvoll ästhetizistische Angelegenheit halten — oder für eine durchaus subversive, charmante und sehr lässige Verweigerungsgeste gegenüber einem konventionellen Unterhaltungsanspruch des Publikums. Jason Schwartzman als "Ringo Starr" ist jedenfalls eine Offenbarung und ganz gewiss "kinda spicy".

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