Mit "Smack" und Schmackes Sozialdrama "Sweet Sixteen" von Ken Loach

Frankfurt/Main (rpo). Der 15-jährige Liam hat ein Ziel: einen Wohnwagen, um seiner Familie ein Heim zu schaffen. Dafür steigt er vom Zigarettenschmuggel auf den Handel mit "Smack", so der britische Slangausdruck für Heroin, um.

<P>Frankfurt/Main (rpo). Der 15-jährige Liam hat ein Ziel: einen Wohnwagen, um seiner Familie ein Heim zu schaffen. Dafür steigt er vom Zigarettenschmuggel auf den Handel mit "Smack", so der britische Slangausdruck für Heroin, um.

Fast lehrbuchhaft porträtiert Regisseur Ken Loach in seinem Melodram "Sweet Sixteen" einen Teenager und sein Umfeld. Statt mit larmoyanter Sozialkritik überrascht der Film trotz vorhersehbaren Ausgangs mit Dynamik und Spannung.

Es ist bewunderswert, mit welchen Starrsinn es Loach, einziger bekennender Sozialist unter den Regisseuren, gelingt, seit Jahrzehnten Filme über gesellschaftliche "Problemzonen" zu machen. Diesmal geht es exemplarisch um eine verlorene Generation: um einige jener 11.000 schottischen Kinder, die von der Fürsorge leben. Gedreht wurde in Inverclyde, seit der Schließung der Werften eine sterbende Stadt. Anders jedoch als in Loachs letzten propagandalastigen Filmen ist diesmal unmittelbar nach zu erleben, wie das Sein das Bewußtsein formt.

Der bürokratisch-abstrakten Rede von den "schwierigen Verhältnissen" wird Leben eingehaucht durch den 15jährigen Liam und seine Restfamilie, einer Dynastie von Sozialhilfeempfängern und Kleinkriminellen: Die Mutter, die für ihren Drogen dealenden Freund Stan den Kopf hingehalten hat, sitzt noch im Knast, der Vater ist nicht existent, der Opa wirft Liam raus, nachdem der sich geweigert hat, beim Knastbesuch Drogen zur Mutter zu schmuggeln. Wer so eine Familie hat, braucht keine Feinde, doch Liam hat nur eins im Sinn: sich ein neues Nest zu bauen und mit Mutter und Schwester Chantelle zusammen zu ziehen.

Die 17jährige Chantelle allerdings, selbst alleinerziehende Mutter, möchte mit ihrer Sippe nichts mehr zu tun haben; nur ihren geliebten kleinen Bruder nimmt sie bei sich auf. Liam, ein Ausbund an Mut, Schlitzohrigkeit und Kreativität, fasst durch unkonventionelle Methoden Fuß im Drogengeschäft. Seine Talente erkennt auch der lokale Dealerhäuptling Douglas, der den 15jährigen Konkurrenten zu seinem Unterchef macht. Nur der labile Pinbull, Liams bester Freund, ist Douglas lästig, und bald muß sich Liam zwischen ihm und Douglas entscheiden.

Ohne pädagogischen Zeigefinger

Es hat etwas von Galgenhumor, wie der gewitzte Junge seine Heroin-Vertriebswege organisiert - nämlich als Mitfahrer eines Pizzaboten auf dem Moped - und wie er zugleich ameisenhaft emsig versucht, sein familiäres Netz zu flicken. Und es ist sein, trotz aller Misere, kindliches Draufgängertum, was den Zuschauer für ihn einnimmt: die Junkies beispielsweise, die dem Jungdealer den Stoff abnehmen, staunen nicht schlecht, als er sie ein ums andere Mal und stets auf neuen Schleichwegen attackiert, um das "Smack" zurück zu erobern.

Mit Tempo brausen die Jungs kreuz und quer durch die pittoresken Straßen der ehrwürdigen Arbeitersiedlung aus Backsteinhäusern und durch eine Landschaft, deren wilde Schönheit beiläufig gestreift wird. Unheimlich stolz ist der Fünfzehnjährige, als er der Mutter seinen angezahlten Wohnwagen präsentiert, der einen Blick über die weitläufige Bucht hat. Und psychologisch überaus stimmig sind nicht nur die Dialoge, sondern auch die Charaktere. Der juvenile Macho wider Willen wird von seinem labilen Umfeld und von seinen eigenen Illusionen zu Fall gebracht.

Wer das Charisma des Hauptdarstellers Martin Compston, eines Laienspielers, der mal lakonisch abgebrüht, mal kindlich frech ist, auf Flaschen ziehen könnte, würde zum Millionär. Wie ein Rattenfänger zieht der willensstarke Antiheld auf seinem Weg auf die schiefe Bahn den Zuschauer mit sich, der Loachs pädagogisch belehrenden Zeigefinger schließlich kaum mehr wahrnimmt.

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