Tim Burtons "Alice im Wunderland" Rückkehr ins Wunderland

(RP). Tim Burton nimmt sich im Auftrag von Walt Disney der Geschichte von "Alice im Wunderland" an. Der Film hat Tempo und ist amüsant. Wer den Regisseur für Filme wie "Edward mit den Scherenhänden" schätzt, dürfte jedoch die poetische Leidenschaft und die ausufernde Fantasie vermissen.

Tim Burtons "Alice im Wunderland" kurz erklärt
20 Bilder

Tim Burtons "Alice im Wunderland" kurz erklärt

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Es ist nicht schlimm, aber doch ein bisschen schade: "Alice im Wunderland" ist weniger ein Film des fürs Verspielt-Abgründige geschätzten Regisseurs Tim Burton geworden als vielmehr ein weiteres 3D-Prestige-Produkt des Walt-Disney-Konzerns. Die zwei Stunden haben Tempo, sie sind unterhaltsam, das ja. Aber man hat doch nie das Gefühl, etwas anderes als Konfektionsware von einiger Qualität zu schauen.

Dabei war Ungewöhnliches zu erwarten gewesen, als bekannt wurde, dass Disney+ den 52-Jährigen Tim Burton mit einer Neufassung der vielerorts zu Unrecht als zwar fantasie-gesättigtes, aber letztlich braves Kinderbuch abgelegten "Alice" zu betrauen. Bereits 1951 hatte sich Disney der in Wahrheit abgründigen Geschichte des kleinen Mädchens angenommen, das vor dem viktorianischen England in eine phantastische, von weißen Hasen, falschen Autoritäten und sprechenden Spielkarten bewohnte Welt flüchtet. Der Trickfilm von damals ist ein Makel in den Disney-Bilanzen, er war ein Flop, und nun sollte ausgerechnet Burton Versuch Nummer zwei unternehmen. Der Regisseur der düster-romantischen Filmmärchen "Edward mit den Scherenhänden" und "Sleepy Hollow" hatte zwischen 1979 und 1985 für Disney als Zeichner gearbeitet, wirkte etwa an "Cap und Capper" mit. Aber als er eigene Ideen ausbreitete, die zu seinem Kurzfilm "Frankenweenie" etwa, über ein Kind, das seinen überfahrenen Hund ins Leben zurückholt, trennte man sich.

Burton bastelt eine eigene Geschichte

Burton webt Motive aus den beiden Lewis-Carroll-Romanen "Alice im Wunderland" (1865) und "Alice hinter den Spiegeln" (1871) zu einer eigenen Geschichte. Seine Alice (Mia Wasikowska) ist bereits 19 Jahre alt, und nun soll sie ins gesellschaftliche Korsett gezwängt werden: Es droht die Ehe mit einem despotischen Muttersöhnchen. Sie flieht, ein Hase mit Weste weist den Weg, er endet im berühmten Kaninchenbau, sie rutscht und fällt, und unten eröffnet sich ihr eine andere Welt. Sie ist sehr bunt.

An dieser Stelle könnten die Festspiele beginnen. Burton könnte seinen Humor ausleben, er ist ja ein heiterer Schwarzmaler, wie er in seinem frühen Werk "Beetlejuice" bewiesen hat, ein massenkompatibler Endzeit-Zyniker ("Batman"), dessen Filme von den sie besiedelnden Wesen und der Ausstattung leben. Alice allerdings ist eine harmlose Figur, so rein und fad wie die Erwählten in den meisten Fantasy-Produktionen. Sie ist eine Art Harry Potter im weißen Kleidchen, und sie soll die Rote Königin und ihre Streitmacht besiegen, die das Land drunten knechten.

Harry Potter im weißen Kleidchen

Die schönsten Passagen gelingen Burton, wenn er vergisst, dass er im Auftrag Disneys arbeitet. Die Tafel etwa, an der sein Lieblings-Schauspieler Johnny Depp — es ist ihre siebte Zusammenarbeit — als Hutmacher mit einer Maus und einem Hasen sitzt und die Teatime unter freiem Himmel zelebriert, ist ein Genuss.

Burton liegt das Böse mehr als das Gute. Burtons Lebensgefährtin Helena Bonham-Carter spielt die Rote Königin, eine grausame Außenseiterin mit gewaltigem Kopf. Auch sie ist in ihrer Boshaftigkeit wunderbar überzeichnet. Sie legt ihre Füße auf den Bauch lebender Schweine, Affen dienen ihr als Möbel, so eine muss man einfach besiegen. Seiner im Original von Schriftsteller und Schauspieler Stepehn Fry gesprochenen Grinsekatze beim "Verdampfen" zuzusehen, macht Spaß. Da ist die Wasserpfeife rauchende blaue Raupe. Es gibt immer wieder solche Einfälle und schöne Sätze wie diesen: "Du hast dein Mehrsein verloren", sagt der Hutmacher zu Alice.

Nachträgliche 3D-Effekte

Vieles andere hingegen meint man anderswo schon gesehen zu haben. Die Geschichte als Stationendrama zu erzählen, an dessen Ende der Kampf mit einem echsenhaften Ungeheuer steht, ist nicht neu und ermüdet. Auch Anne Hathaway als Weiße Königin, die als affektierte Cicciolina angelegt ist, wirkt nicht verrückt oder schräg, sondern einfach albern. Die Ausstattung erinnert stark an den "Zauberer von Oz", die Dramaturgie an Guillermo del Toros Film "Pans Labyrinth". Beide Titel sind jedoch origineller, poetischer und irritierender. Auch technisch kann "Alice" nicht mit vergleichbaren Werken mithalten. Burton hat nicht wie James Cameron bei "Avatar" in 3D gedreht, sondern die Effekte nachträglich hinzugefügt. Das sieht man, die Bilder haben keine Tiefe, "Alice" braucht die dritte Dimension nicht.

Was einem den Film endgültig verderben kann, ist seine Botschaft. Der Traum von Alice geht in der Nützlichkeit auf. Ohne das Ende vorwegzunehmen, kann man sagen: Das Mädchen, das eben noch im Cocktail-Kleid durch Felder mit psychedelisch bunten Pilzen irrte, kommt als altkluge Kapitalistin aus der Höhle. Der Eskapismus wird ökonomisch. Und das ausgerechnet bei Burton, der in seinem Werk sonst das Recht auf Nutzlosigkeit und Traumwandel verteidigt!

Man kann sich einrichten in dieser Version der "Alice". Aber man fühlt sich eben auch um einen leidenschaftlicheren, versponneren Film betrogen, um Originalität. Für Tim Burton wird die Produktion indes Anlass zur späten Genugtuung sein. Er soll weiter für Disney arbeiten, eine Langfassung von "Frankenweenie" erstellen. Das ist der Film, der vor 25 Jahren zur Trennung von Regisseur und Konzern führte.

Bewertung: 3 von 5 Sternen

(RP)
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