Thriller "8. Wonderland" Neuer Staat im Internet

(RP). Es ging anfangs nicht ums Kaufen von Büchern, ums Versteigern von Überraschungsei-Figuren und um Pornoseiten, sondern um den Austausch von Forschungsdaten. Als das Internet dann als Web 2.0 zum Alltagswerkzeug von Jedermann wurde, waren die neuen Nutzer fasziniert davon, am Schreibtisch daheim ihnen bis dato ganz unbekannte Menschen kennenlernen zu können, die ihre Interessen teilten: Modelleisenbahnen, Piratenfilme oder eben den Kampf für oder wieder bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen.

Ausstellung: Topographie des Terrors
9 Bilder

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Auch wenn das Internet heute einerseits als ganz pragmatische Wirtschaftsmaschine funktioniert, so ist es andererseits doch ein hochpotentes politisches Instrument, um nicht zu sagen, eine Waffe. Davon erzählt der französische Spielfilm "8. Wonderland". Der atmet den Geist der Cyberutopisten, der Netzbewegten, die glauben, das Internet stelle eine demokratische globale Gegenwelt zu Nationalstaaten und Wirtschaftszonen dar.

Unabhängigkeitserklärung eines virtuellen Staats

Wir erleben hier tatsächlich eine Unabhängikeitserklärung, die Gründung eines virtuellen Staates durch ein Nutzerkollektiv im Netz. Es geht aber um kein virtuelles Spielchen. Die Teilnehmer des Projekts organisieren Aktionen gegen reale Institutionen, Firmen, Persönlichkeiten, deren Handeln ihnen missfällt. "8. Wonderland" überführt also das Organisieren heutiger Flashmobs und anderer Polithappenings in die großangelegte vernetzte Subversion. Die Organisatoren des Projekts werden als Terroristen gejagt, die Bürgerschaft und das Aktivistenheer des Kollektivs, das alles in gigantischen Online-Konferenzen demokratisch beschließt, wächst unablässig.

Das Besondere an "8. Wonderland" ist, dass keine Filmprofis ein Cyberthema in routinierte Thrillerbilder bringen. Das Team um die Regisseure Nicolas Alberny und Jean Mach bestand zu einem großen Teil aus Laien, und auch die Filmbilder wollen oft gar keine sein. Wir schauen minutenlang auf Monitore, wir sitzen quasi selbst am PC, wir verfolgen Online-Konferenzen, in denen immer mehr und mehr Webcam-Bilder zu einer enormen Bürgerversammlung angeordnet werden müssen. Das ist zugleich Stärke und die Schwäche dieses Films. Ja, hier wird die optische Erfahrung langer Internetsitzungen auf die Leinwand gebracht. Aber nein, das ist nicht durchweg spannend, wenn auch in seinem Scheitern immer wieder faszinierend.

Bewertung: 3 von 5 Sternen

(RP)
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