Drama "Die verlorene Zeit" Nazi-Opfer und die Last der Erinnerungen

Düsseldorf · Ausgerechnet in einem Konzentrationslager verliebten sich die Gefangenen Hannah und Tomasz. Gemeinsam gelang den beiden 1944 sogar die Flucht aus der Hölle. Durch den anhaltenden Krieg verloren sie sich dennoch aus den Augen. Erst weit über 30 Jahre später erkennt Hannah ihren geliebten Tomasz in einem TV-Interview wieder.

Fahle Bilder von feisten Wärtern, die mit viel Gebrüll und willkürlicher Mordlust hohlwangige Häftlinge terrorisieren, machen erst einmal misstrauisch.

Doch dieser Film ist kein weiterer Versuch, mit genüsslich nachgespielten Gräueln aus der Zeit des Holocaust den Stoff für melodramatischen Schauder zu ziehen. Dass Hannah, der deutschen Jüdin, und Tomasz, dem polnischen Widerstandskämpfer, die gemeinsame Flucht aus einem Konzentrationslager gelingt, führt auch nicht zum Triumph der Liebe über alle Niedertracht.

"Die verlorene Zeit" ist vielmehr ein Film über die Last von Erinnerungen, an denen Überlebende zu zerbrechen drohen. So wie Hannah, die scheinbar glückliche Gattin und Mutter in einer wohlhabenden New Yorker Familie der 1970er Jahre.

Sie ist ganz konzentriert auf die Vorbereitungen für eine große Party — bis sie in einer Fernseh-Reportage aus dem sozialistischen Polen ihren Tomasz zu erkennen glaubt. Sie versucht ihre fiebrige Aufregung zu verbergen, beginnt Nachforschungen anzustellen und wandert geistesabwesend durch den familiären Alltag, bis es ihrem besorgten Mann gelingt, ihr das Geheimnis zu entlocken.

"Die Erinnerung kommt nicht als Ganzes, sondern in Bruchstücken", notiert sie in ihrem Tagebuch. Weil die Regisseurin Anna Justice ständig die Zeitebenen wechselt zwischen dem New York der 1970er Jahre und dem deutsch besetzten Polen von 1944/45, verlieren sich die Rückblenden nicht in sentimental ausgemalten Fresken von Kriegs- und Nachkriegselend.

Hannah und Tomasz, die ihre Liebesaffäre im Lager und ihren Ausbruch nur durch die Solidarität ihrer Leidensgefährten überlebten, lavieren anschließend durch ein Minenfeld von Misstrauen und jederzeit möglichem Verrat.

Übermütig kutschieren sie in einem gestohlenen Cabriolet durch sommerliche Landschaft. Und sind dann niedergeschmettert von Tomasz' Mutter, die sich als Antisemitin entpuppt und mit dem Gedanken spielt, die versteckte Jüdin den Deutschen auszuliefern.

Susanne Lothar spielt diese tückische Mutter mit einer Intensität, die auch die anderen Frauenfiguren auszeichnet — nicht nur Alice Dwyer als die junge und Dagmar Manzel als die ältere Hannah.

Die Macht von Erinnerungen wird skizziert bis zu einem offenen Schluss: Ob aus dem Wiedersehen von Hannah und Tomasz nach 36 Jahren mehr wird als eine flüchtige Begegnung, bleibt ungewiss.

Bewertung: 3 von 5 Sternen

(RP/csr/das)
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