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"Mother" Monströse Miss Marple

(RP). Ein unerhörter Film: In "Mother" erzählt der koreanische Regisseur Bong Joon-Ho, wie eine obsessive Mutter ihren unter Mordverdacht stehenden Sohn aus dem Gefängnis holen will. Das irritierende und bewegende Werk bricht mit Sehgewohnheiten. Es ist ebenso Psycho-Thriller wie Komödie.

"Mother": Monströse Miss Marple
Foto: MFA/24 Bilder

Dieser Regisseur ist ein sensationelles Talent, er heißt Joon-Ho Bong, ist 40 Jahre alt und stammt aus Südkorea. Übermorgen kommt sein Film "Mother" ins Kino, er ist ein Meisterwerk, das mit Sehgewohnheiten bricht, antike Tragödie und zeitgenössischen Sozialrealismus verbindet und den Zuschauer irritiert und doch vor allem unterhält.

Es geht um eine Mutter, die Mutter aller Alptraum-Mütter gewissermaßen, die verwitwete Frau ist ganz archaischer Trieb: Kümmern, schreit es unaufhörlich in ihrem Kopf, kümmern. Ihr Sohn Do-Joon ist 27 Jahre alt und etwas zurückgeblieben, er ist Mamas kleiner Prinz, und zu Beginn des Films sind seine Auftritte warm koloriert, auf ihm liegt der weichzeichnende Blick der Beschützerin. "Du und ich, wir sind eins. Wir haben doch nur uns", sagt sie dem Sohn. Sie schläft in einem Bett mit ihm, sie lässt ihn nicht los, sie fragt ihn aus, sie sieht vor lauter Liebe die Welt nicht mehr, aber er begreift nicht so recht. Do-Joon gerät denn auch in eine dumme Sache hinein, ein Schulmädchen kommt zu Tode, und er soll der Schuldige sein, ausgerechnet er; die überforderte Dorf-Polizei buchtet ihn ein.

Was Joon-Ho Bong nun zeigt, ist Thriller, Groteske und Farce zugleich, es fasst einen an, dieser Film geht direkt auf den Magen. Die Mutter, die eine Kräuterhexe ist, eine Apothekerin auf eigene Faust, versucht den Fall zu lösen, den Mörder zu finden. Sie geht weiter, als ein Mensch mit Gewissen gehen sollte. Wenn andere Menschen sich der Wahrheit in den Weg stellen, dann räumt sie sie zur Seite, aber am Ende tut die Wahrheit weh, denn sie strahlt nicht, sie ist sogar ziemlich düster. Der Film ist nun in ein gräuliches Blau getaucht.

Kim Hye-Ja spielt die Titeltrolle. In ihrer Heimat ist sie das, was bei uns Inge Meysel ist, die Mutter der Nation. Ihre "Mother" legt sie als obsessive Persönlichkeit an, eher unheimlich als sympathisch, ihre Motive sind nachvollziehbar und doch kaum zu verstehen. Hye-Jas Auftritt ist subtil, Schmerz liegt auf ihrem faszinierenden Gesicht, eine Sehnsucht und die Gewissheit, nicht zur Erfüllung gelangen zu können. Die Kunst des Regisseurs, eines ehemaligen Soziologie-Studenten, besteht darin, Charaktere während der Spielzeit zu verändern und doch real wirken zu lassen. Die Mutter gibt sich gütig, aber manchmal durchbricht sie ihre Rolle mit einer Gewalttätigkeit, die in einen blutigen Exzess führen wird.

Bong Joon-Hos größter Erfolg bisher war "The Host", ein Monsterfilm im Arthaus-Format, der eine neue Art zu erzählen erprobte. Das Tempo dieser Geschichte über ein Wesen aus dem Fluss, das Menschen raubt, wurde immer wieder gedrosselt, Szenen größter Tragik mit schwarzem Humor übergossen, Suspense bis an den Rand der Erträglichkeit gesteigert. Bong Joon-Ho ist so clever, dass er unernst sein kann, ohne ironisch zu wirken; er trifft den hohen Ton, ohne pathetisch zu sein.

Man ist gerührt und zugleich amüsiert, wenn die Mutter das Blut auf einem Golfschläger mit einem Gummihandschuh gegen den Regen schützt und die vermeintliche Mordwaffe zur Polizei trägt. Die Laboranalyse ergibt: Es ist kein Blut, sondern Lippenstift, und die Mutter wird von den Polizisten verhöhnt. Wenn die Mutter sich im Schrank eines Verdächtigen versteckt, denkt man an Miss Marple. Wenn sie sich hinausschleicht, nachdem er eingeschlafen ist, und dabei eine Wasserflasche umstößt, denkt man an Hitchcock. Denn das Wasser läuft aus, bildet eine Pfütze, die rasch den Finger des Ruhenden erreichen und den Mann wecken wird. So viel Zeit bleibt zur Flucht. Jedes Detail in dieser mit Effizienz erzählten Geschichte ist wichtig, das kurz erwähnte Nasenbluten der Ermordeten führt den aufmerksamen Zuschauer auf die Spur des Mörders. Wenn im ersten Akt eine Pistole auf dem Tisch liegt, muss im dritten ein Schuss fallen, hat Tschechow gesagt, und Bon Joon-Ho lässt viele Pistolen herumliegen. Er feuert alle ab.

Es liegt eine Vagheit über dem Film. Der Zuschauer kann sich nie sicher sein. Die Episoden sind skizzenhaft und fügen sich allmählich zum Ganzen. Die komischen Nebenfiguren kontrastieren das Drama der Protagonisten. Man merkt schnell, dass das an etwas rührt, dass das zeitgemäß ist und hier die Form den Sinn für den Inhalt schärft. Es geht um die großen Fragen: Was ist Schuld, was Wahrheit?

In Bong Joon-Hos Filmen, zu denen auch der sehenswerte "Memories Of Murders" gehört, kämpfen Menschen gegen höhere Mächte. Der Filmemacher stellt den Kämpfenden eine Familie zur Seite. Sie ist die Institution, auf die selbst dann Verlass ist, wenn die Geschichte ins Phantastische ausschlägt. Der Soundtrack dieser Arbeiten ist das Brechen der Herzen: der Vater der geraubten Tochter in "The Host", die Mutter im neuen Werk. Und für jede Figur gibt es abseits des Erhofften ein Happy End. Der Vater bekommt die Tochter nicht zurück, aber einen Ziehsohn. Auch in "Mother" erreichen Mutter und Sohn nicht, was sie sich erträumt haben. Und doch gewinnen sie die Freiheit.

(RP)
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