Drama "Die Eleganz der Madame Michel" Modernes Aschenputtel

(RP). Ein besonders munteres, mal aufreizend neugieriges, mal altklug zurückhaltendes Kind, eine zottelig grauhaarige, mürrische ältere Frau und ein geheimnisvoller, ungeheuer kultivierter und weiser alter Asiate: Das sind die drei effektvollen Hauptfiguren des französischen Bestseller-Romans "Die Eleganz des Igels".

(RP). Ein besonders munteres, mal aufreizend neugieriges, mal altklug zurückhaltendes Kind, eine zottelig grauhaarige, mürrische ältere Frau und ein geheimnisvoller, ungeheuer kultivierter und weiser alter Asiate: Das sind die drei effektvollen Hauptfiguren des französischen Bestseller-Romans "Die Eleganz des Igels".

Mona Achache hat daraus einen geschmackvollen Film gemacht, und damit auch deutsche Kinogänger kapieren, dass mit dem "Igel" kein Kleintier, sondern eine Frau gemeint ist, hat der Verleih den Titel zur "Eleganz der Madame Michel" verdeutlicht.

Josianne Balasko macht aus diesem "Igel" eine so fesselnde Gestalt, dass sie mühelos über vielerlei Banalitäten hinweg hilft. Sie ist die "Concierge" oder "Gardienne" (Pförtnerin) in einem großbürgerlichen Wohnhaus und genießt es, sich hinter der Fassade dieses Berufsstandes bis zur Unsichtbarkeit zu verstecken.

Einer "Concierge" werden bis in die Gegenwart hinein die negativen Klischees unterstellt, die sie schon in der Literatur des 19. Jahrhunderts erhielt: Sie gilt als aufdringliche Klatschtante und eifriger Polizeispitzel — je weniger man also von ihr sieht und hört, so die Lehre aus den Schmökern, desto besser für die Hausbewohner.

Daran hält sich Madame Michel in dem eleganten Jugendstil-Haus, in dem auch die elfjährige Paloma lebt. Die findet ihre neurotische Mutter, ihre krankhaft ehrgeizige ältere Schwester und den freundlich geistesabwesenden Vater so langweilig, dass sie das Leben der Erwachsenen mit dem Dasein eines Goldfischs im Aquarium vergleicht.

Auf Streifzügen mit einer altmodischen Filmkamera dringt sie auch in die Concierge-Loge von Madame Michel ein, und die kleine Garance le Guillermic spielt diese Paloma mit so quirligem Charme, dass es ganz glaubhaft wirkt, wie sie die stachelig mürrische Dame in eine freundliche Gastgeberin verwandelt.

Dann kommt in Gestalt eines neuen Mieters auch schon der Prinz, der Madame Michels Leben verwandelt: Der alte Herr Ozu ist ein ebenso eleganter wie kultivierter Japaner. Er erkennt in der Concierge sofort eine Liebhaberin großer Weltliteratur — beide lieben Tolstois "Anna Karenina", den Inbegriff hoher Literatur in Trivialfilm-Kreisen — und stellt die Rangordnung im herrschaftlichen Haus auf den Kopf: Er macht der Concierge den Hof, führt sie zum Essen aus — und Madame Michel verwandelt sich mit neuem Kostüm und neuer Frisur in eine elegante Dame.

Paloma, das Kind, bleibt gleichberechtigte Partnerin in diesem Bund zwischen Außenseitern, der Klassenschranken durch das Märchen vom Aschenputtel und ihrem Prinzen überwindet. Das plätschert betont zeitlos dahin, versinkt aber dank großartiger Besetzung nur selten in bloßer Langeweile und endet so bittersüß, wie es sich für ein modernes Märchen gehört.

Bewertung: 3 von 5 Sternen

(RP)
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