Kinofilm "The Wolf of Wall Street" Ein Meisterwerk, das weh tut

Düsseldorf · Der Film "The Wolf of Wall Street" von Martin Scorsese erzählt von dem gierigen Anlagebetrüger Jorden Belfort, der in den 90er Jahren sein Unwesen trieb. Das Werk ist ein Meisterwerk.

"The Wolf of Wall Street" mit Leonardo DiCaprio
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Dieser Film ist ebenso obszön, unmoralisch und wollüstig wie die Menschen, die er zeigt; er ist so konsequent, dass man es kaum erträgt, und gerade diese Radikalität macht ihn zu einem großen Wurf: "The Wolf Of Wall Street" ist ein Meisterwerk. Eines, das weh tut.

Leonardo DiCaprio spielt den Geschäftsmann Jordan Belfort. Der ist keine fiktive Figur, es gibt ihn wirklich, in den 90er Jahren betrog er Anleger nach dem Prinzip "pump and dump". Er trieb die Preise wertloser Aktien künstlich in die Höhe und verkaufte sie dann. Er verdiente unvorstellbar viel Geld, "Wolf der Wall Street" nannten ihn die Magazine. Er kaufte die Yacht, die einst Coco Chanel gehört hat, er ließ das Boot so umbauen, dass er mit seinem Helikopter darauf landen konnte.

Er hatte Hotelrechnungen von 700.000 Dollar pro Nacht, und kaum einer seiner Mitarbeiter verdiente weniger als sieben Millionen pro Jahr. Belfort lebte nach dem Vorbild Gordon Gekkos, der Hauptfigur in Oliver Stones Film "Wall Street": der Kapitalist als Raubtier, Geld als Fetisch, Gewinn als Rausch. Libidinal Economy. Das FBI brauchte sechs Jahre, um Belfort zu überführen.

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Martin Scorsese verfilmt also die Erinnerungen dieses Mannes, und er zeigt dessen Aufstieg ausschließlich aus der Perspektive Belforts. Die Handlung wird trotz der drei Stunden Länge mit enormer Geschwindigkeit vorangetrieben, jede Einstellung will die davor übertreffen, jede Szene beißt die andere von der Leinwand, die Bilder fressen sich gegenseitig auf. In einer US-Rezension wurde gefragt, ob Scorsese zu viel Tarantino gesehen habe.

Es ist von allem viel zu viel, Scorsese überdreht, aber er macht das mit Absicht — too much aus Prinzip. Während Belfort seine Ansprachen an die Mitarbeiter hält etwa, zieht plötzlich eine Marching Band durch das Büro, Pauken und Trompeten, die Musiker sind nackt, sie haben Prostituierte im Schlepptau, auch die sind nackt. Die Belegschaft fällt über die Männer und die Frauen her, es regnet Konfetti und Luftschlangen. Hemmungslosigkeit, Orgie, Exzess, knallende Korken, keine Kontrolle. Und der Zuschauer steht mittendrin.

Propaganda oder Satire?

In den USA ist der Film umstritten, das Intellektuellenblatt "New Yorker" bringt im Wochentakt ein neues Meinungsstück über die Produktion. Manche sagen, das sei Scorseses schlechtester Film, ein Fiasko; die anderen finden, er sei sein bester, noch toller als "Taxi Driver" oder "Good Fellas", und nach einer Vorführung stürmte ein Zuschauer auf den Regisseur zu und beschimpfte ihn: "Sie sollten sich schämen!"

Tatsächlich macht es Scorsese einem nicht leicht. Er zeigt kaum je die andere Seite, die der Opfer, Loser und Genasführten, er dokumentiert allein den Sieg des Kapitalismus, die Freuden der Dekadenz. Es geht um Geld, Sex und das Leben derer, die ein Geschäft damit machen, diejenigen zu betrügen, die gern ein Geschäft machen würden. Die Kategorien Sühne und Buße existieren nicht, keine Reue; Erwachen heißt weitermachen.

Das Perfide ist, dass Leonardo DiCaprio den Belfort, der offensichtlich ein mieser, durchtriebener und verabscheuungswürdiger Kerl ist, so spielt, dass man ihn zu mögen beginnt. DiCaprio spricht direkt in die Kamera, er redet uns an, und er ist so charmant und nett, dass wir zunächst nicht merken, wie er uns um den Finger wickelt, sich von unserer Energie ernährt. Das Lachen, der Augenaufschlag, die Beflissenheit.

Wir müssen schmunzeln über ihn, über die erste Szene zum Beispiel, die diesen Film sehr gut charakterisiert. Da sieht man DiCaprio, wie er im Vollrausch einen Helikopter im Vorgarten seines Hauses in Long Island zu landen versucht. DiCaprio/Belfort ist randvoll mit Koks und Alkohol, er schwitzt, der Hubschrauber wackelt. DiCaprio bekommt das Ding irgendwie auf den Boden, und natürlich kriegt er Ärger. Aber eben nicht, weil er Menschen gefährdete und dumm war. Seine Frau schimpft, weil er den teuren Rasen versaut hat und auf dem Weg ins Haus in den Pool fiel, die Alarmanlage auslöste und die Kinder weckte.

Die Ebenen verschmelzen

"The Wolf Of Wall Street" funktioniert wie ein Flugsimulator. Er täuscht einen Flug in die Herzkammer des Kapitalismus vor, und man vermag nicht mehr zwischen Wirklichkeit und Illusion zu unterscheiden, man vergisst alle ethischen Prinzipien, richtig und falsch sind kaum auseinanderzuhalten.

Nur einmal deutet Scorsese an, dass es einen Riss in der Wahrnehmung gibt. In der wahnsinnigsten Szene des Films kriecht der brillant agierende DiCaprio im Drogenrausch wie ein Reptil aus einem Club. Es dauert lange, das ist reiner Slapstick, aber DiCaprio erreicht seinen schneeweißen Lamborghini schließlich, zieht sich hinters Steuer und fährt nach Hause.

Daheim rühmt er sich für seine Leistung: Auto unversehrt, nichts beschädigt, super gemacht. Doch am nächsten Morgen wecken ihn Polizisten, sie sind einfach der Spur der Verwüstung gefolgt. DiCaprio hat jeden Laternenpfahl mitgenommen, Autos von der Straße gedrängt, den Lamborghini ruiniert.

Scorsese stellt Belfort keinen ebenbürtigen Gegenspieler an die Seite, so kann sich Belfort 180 Minuten lang selbst inszenieren. Der Film ist bestimmt zu lang, redundant zudem, am Ende läuft er leer, aber die Form spiegelt dabei stets den Inhalt, denn gezeigt wird eine Welt, in der Zahlen mächtiger sind als Werte. Das Finale ist entsprechend bitter und deprimierend, es gibt keine Moral oder Gerechtigkeit, nur Gier. Aber so ist das und noch schlimmer: Der echte Belfort wurde 1998 zu vier Jahren verurteilt und nach zwei Jahren entlassen, weil er mit dem FBI kooperierte. Er lebt heute in einer Villa am Pazifischen Ozean. Man kann ihn buchen, er nimmt fünfstellige Beträge für seine Vorträge, und als Beruf gibt er an: Motivationstrainer. lllll

(RP)
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