Drama "Lourdes" von Jessica Hausner Kühler Blick auf den Wallfahrtsort

(RP). Eigentlich wäre sie lieber nach Rom gereist oder in irgendeine andere wimmelige Großstadt, in der man Metropolenatmosphäre aufsaugen und sich lebendig fühlen kann. Doch in diesem Jahr steht bei den Maltesern der französische Wallfahrtsort Lourdes auf dem Programm, und Christine ist auf das Angebot des katholischen Ordens angewiesen: Die junge Frau hat Multiple Sklerose, sitzt im Rollstuhl und kann nur noch mit Vereinen verreisen, die auch pflegebedürftige Menschen mitnehmen. Besonders fromm ist sie also nicht, diese Christine. Doch spürt gerade sie nach wenigen Tagen in Lourdes plötzlich wieder Kraft in ihren Beinen und erhebt sich aus dem Rollstuhl. Ein Wunder ist geschehen.

Die Kino-Highlights 2010
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Die österreichische Filmemacherin Jessica Hausner erzählt in "Lourdes" mit überraschender Kühle und inszenatorischer Strenge die Spontanheilungs-Geschichte einer jungen Frau. Starr lässt sie ihre Kamera in statischen Einstellungen auf den Wallfahrtsort blicken, in einen Speisesaal, der sich langsam mit gesunden und kranken Pilgern füllt, auf die Prozessionen, in die Kirchen, in das Lourdeswasser-Badehaus. Dazu verweigert Hausner ihren Zuschauern Gefühlskatalysatoren wie Musik. Dieser Film soll überdeutlich keine Emotionen schüren, sondern beobachten und ausstellen — auf dass die Zuschauer urteilen.

Natürlich ist diese Ästhetik nur scheinbar objektiv. Sehr subtil nährt Hausner Zweifel an naivem Wunderglauben, ohne Lourdes plakativ zu denunzieren. Sie muss nur zeigen, wie das Wunder willkürlich eine trifft, die gar nicht glaubt, während andere weiter leiden müssen. Muss nur zeigen, wie die Übrigen der Pilgergruppe ihr den Gnadenerweis neiden und wie ausgerechnet die Priester reserviert reagieren — sowohl auf das Leid der unheilbar kranken Christine wie auf deren unerklärliche Heilung — und sich in smarte Floskeln flüchten.

Wunder lassen sich nicht verdienen

Wunder lassen sich nicht verdienen, sie sind keine Belohnung für besondere Frömmigkeit, das betont die Kirche selbst. In "Lourdes" wird das durchgespielt, und es ist spannend zu beobachten, was dieser Verstoß gegen allzu menschliches Leistungsdenken in einer Gruppe auslöst.

Der Film ist aber auch deswegen sehenswert, weil er eben nicht nur vom Wunderort Lourdes handelt, sondern in seiner eigentümlichen Starrheit, sehr nackt, sehr bestürzend von der Einsamkeit chronisch kranker Menschen erzählt. Wie Christine in einer Beichtstunde so still und resigniert mit ihrem Schicksal hadert und dann ganz sacht die wiedergewonnene Bewegungsfreiheit genießt und schüchtern mit einem Malteser flirtet, das lässt mehr von der Verzweiflung einer früh erkrankten jungen Frau erkennen als so manches tränentriefende Melodram.

Das liegt auch an der Hauptdarstellerin Sylvie Testud, die vielleicht noch aus Caroline Links "Jenseits der Stille" in Erinnerung ist. Damals schon spielte sie das hörende Kind gehörloser Eltern mit einer seltsam frühreifen Schwermut. Nun hat sie auch als Erwachsene noch dieses traurig-naseweise Gesicht, das so fragend in die Welt blickt. Diese Frau hat nicht Gott-weiß-was vom Leben erwartet, nur ein bisschen Glück. Doch dann kam die Krankheit. Und dann das Wunder. Christine lässt beides nahezu gleichmütig mit sich geschehen. Man könnte auch sagen: demütig. Wäre da nicht diese Ohnmacht in der Demut, die bestürzt, weil natürlich jeder gegenüber dem eigenen Schicksal ohnmächtig ist.

Nüchtern und schonungslos

In seiner Nüchternheit ist "Lourdes" ein schonungsloser Film. Wenn er etwa zeigt, wie mühsam die kranke Christine gepflegt werden muss, wie aufwendig es für sie ist, sich ein wenig hübsch zu machen, dann wird darin die brutale Hilflosigkeit dieser Frau nahezu wortlos verständlich. Doch ist in den geübten Handgriffen der Pflegerinnen auch Fürsorge zu erkennen, eine Anteilnahme, die sich in praktischem Beistand erweist. Auch dafür steht Lourdes.

Bewertung: 4 von 5 Sternen

(RP)
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