Oscarnominierte norwegische Komödie "Kitchen Stories": Junggesellen in der Küche

Frankfurt/Main (rpo). Hört man von Schweden und Küchen, denkt man wohl unweigerlich an eine große skandinavische Möbelhauskette. Ob man dort jedoch schon einmal nachgeforscht hat, wie groß die Strecke ist, die eine schwedische Hausfrau in einem Jahr beim Kochen zurücklegt, darf bezweifelt werden. Dafür gibt es jetzt den Film "Kitchen Stories".

<P>Frankfurt/Main (rpo). Hört man von Schweden und Küchen, denkt man wohl unweigerlich an eine große skandinavische Möbelhauskette. Ob man dort jedoch schon einmal nachgeforscht hat, wie groß die Strecke ist, die eine schwedische Hausfrau in einem Jahr beim Kochen zurücklegt, darf bezweifelt werden. Dafür gibt es jetzt den Film "Kitchen Stories".

Die Strecke entspricht demnach der Entfernung zwischen Schweden und dem Kongo. Das schwedische "Institut für Heim und Haushalt" will die Laufzeit durch eine funktionellere Küchengestaltung auf die Distanz Schweden-Norditalien reduzieren.

Die norwegisch-schwedische Tragikomödie "Kitchen Stories", die am 5. Februar anläuft, spielt zu Beginn der 50er Jahre; ein solches Küchen-Projekt und sogar seine Ausweitung auf die Herde männlicher Junggesellen erscheint angesichts der Technikgläubigkeit der Nachkriegsepoche durchaus glaubhaft. Die Nachwehen dieses Rationalisierungswahns sind heute noch im unschlagbar praktischen Design eines legendären blaugelben Möbelhauses zu erkennen.

Man sollte sich aber keinesfalls von der nüchternen wissenschaftlichen Anmutung dieses Films beirren lassen, denn er gehört zum Bizarrsten und Liebenswertesten, was seit den Käuzen in "Elling" aus Skandinavien auf internationale Leinwände gelangt. 18 graumäusige schwedische Feldforscher schwärmen in 18 identischen eiförmigen Wohnwägen ins winterliche Norwegen aus, um sich in den Küchen norwegischer Singles einzunisten und deren Bewegungen haarklein zu kartografieren.

Ein Härtefall ist der Bauer Isaak, der sich nur mit Mühe dazu bewegen lässt, den Feldforscher Folke in sein Haus zu lassen, - fühlt sich das Versuchskaninchen doch zu Recht um seine Belohnung für die Teilnahme an dem Experiment betrogen.

Man muss sich dieses so vorstellen: Folke sitzt im riesigen kindersitzähnlichen Hochstuhl in der Küchenecke und beobachtet von oben zum Beispiel, wie der grimmige Alte sich am Tisch eine Pfeife stopft und seinen Tee trinkt. Es herrscht absolutes Schweigegebot. Nur nachts verzieht sich Folke in sein Wohnwagen-Schneckenhaus, wo er als einzige Zerstreuung Radio hört.

Die Belagerung nervt Isaak selbstverständlich, und so verlegt er das Kochen in sein Schlafzimmer und bohrt ein Loch in die Decke, um den Beobachter und dessen Aufzeichnungen zu beobachten. Und auch sonst verhalten sich beide nicht nach Plan: Als Folke bei einem Imbiss heimlich Isaaks Salzstreuer nutzt und auf einen anderen Platz zurückstellt, brechen allmählich die Dämme.

Meisterschaft in der Kunst des Absurden

Der Witz dieses Kammerspiels liegt einmal im eklatanten Widerspruch zwischen Theorie und Praxis und in der Ernsthaftigkeit, mit der Folkes Chefs diese abstruse - und allerorten scheiternde - Feldforschung überwachen. Und andererseits im lakonischen Prozess der Fraternisierung der beiden Hagestolze: Ist der Beginn dieser herbsüßen Komödie eine oft poetische Veranschaulichung von Isaaks genügsamer Existenz im abgelegenen Bauernhaus, so verwandelt sich das wortlos-feindselige Katz- und Maus-Spiel bald in ein Ballett winziger Annäherungen, die ebenso von Buster Keaton wie von Jacques Tati inspiriert sind.

Die zwischenmenschliche Temperatur steigert sich so schnell von eisig auf herzlich, dass Isaaks einziger Freund Grant eifersüchtig wird. Und spätestens wenn sich Folke und Isaak mit einem inbrünstigen "Skol!" zuprosten und Folke von seinem strengen Versuchsleiter mit einem Katzenfell um den Hals erwischen lässt - denn nur das hilft laut Isaak gegen Grippe - erweist sich, dass der Faktor Mensch einfach unberechenbar bleibt.

Über den Mainstream einer gemütvollen Tragikomödie hinaus erhebt sich "Kitchen Stories" aber nicht nur durch seine Anspielungen auf den tiefsitzenden Zorn, den die Norweger, im Krieg von der deutschen Wehrmacht besetzt, gegen die neutralen Schweden hegten. Regisseur Bent Hamer, der bereits die seltsame Tragikomödie "Eggs" gedreht hat, zeigt zudem erneut seine Meisterschaft in der Kunst des Absurden und gestaltet die Kulissen in einem surrealen, grünlichen Retro-Design.

Die Bürokratenkultur, die Folkes und Isaaks Freundschaft bedroht, trägt kafkaeske Züge, und bei allem tränenrührenden Gemenschel gewinnt dieses Universum von auf sich selbst zurückgeworfenen Junggesellen besonders am Ende einen leicht unheimlichen Anstrich. Jedenfalls wünscht man diesem in vieler Hinsicht ungewöhnlichen Film ebenso den Oscar, für den er gerade nominiert wurde, wie eine Menge Zuschauer.

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