Jim Sheridans persönlichster Film "In America"

Berlin (rpo). Am Anfang steht ein tragischer Verlust. Eine irische Familie reist mit dem Auto in die USA ein. "Wie viele Kinder haben Sie?", fragt der Grenzbeamte. "Drei", sagt der Vater. "Zwei", antwortet die Mutter: "Wir haben eines verloren."

In seinem neuen Film "In America" erzählt der irische Filmemacher Jim Sheridan ("Mein linker Fuß", "Im Namen des Vaters", "On The Edge") eine halb autobiografische Geschichte: Vom Tod eines Kindes, von der Flucht einer Familie vor ihrer Trauer, von einer harten Zeit in einem verwahrlosten Haus mitten in New-York-Manhattan, vom Wiederfinden der Liebe.

Sheridans bisher persönlichstes Werk mischt Selbsterlebtes und Fiktion. Als 16-Jähriger verlor der spätere Filmautor seinen Bruder Frankie; er starb an einem Hirntumor. Auch das tote Kind im Film heißt Frankie. In den 80er Jahren war Sheridan mit seiner Frau und den beiden Töchtern nach New York gekommen, um bessere Arbeitsbedingungen als Bühnendirektor zu suchen. Seine erwachsenen Töchter Naomi und Kirsten, die sich genau an diese Zeit erinnerten, ließ Sheridan große Teile des Drehbuchs selbst schreiben.

Die Handlung erzählt der Regisseur aus der Sicht der zehnjährigen Christy, die mit Kinderaugen die Großstadt betrachtet. In dieser Perspektive liegen Stärken, aber auch Schwächen des Films. Mit Pathos und Poesie fängt Sheridan ein "kindliches Bild" des rauen Lebens in Manhattan ein, gleitet aber gelegentlich auch in Kitsch ab.

Nur Kinder in Halloween-Kostümen können sich trauen, in dem Wohnblock voller Junkies und Alkoholiker an die Tür des bedrohlichen Nachbarn Mateo zu hämmern. Der ist ein schwarzer Künstler, der in völliger Vereinsamung lebt und die Mitbewohner mit wilden Blicken abschreckt. Mateos Herz schmilzt, und bald wird die irische Familie mit den beiden Töchtern und der schwangeren Mutter für den Künstler zur Ersatzheimat.

Furcht erregendes Manhattan

Etwas dick aufgetragen ist das Ende dieser Freundschaft: Als Mateo an einer schweren Krankheit stirbt, schlägt das frühgeborene, beatmete Mädchen im selben Moment im Augen auf. An vielen Stellen lebt der Film weniger von seiner Handlung als von den Hauptdarstellern.

Die Engländerin Samantha Morton - mit radikalem Kurzhaarschnitt - besticht mit ihrer Intensität in der Rolle der Mutter. Paddy Considine hat einen schwierigen Part: Er verkörpert die Sprachlosigkeit des Schauspielers Johnny, der keine Rollen bekommt und sich in seiner Trauer verkriecht. Die Kinderdarsteller, die Schwestern Sarah und Emma Bolger, spielen ihre Rollen natürlich und mit viel Charme.

"In America" gehört zu den ersten Spielfilmen, die nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York gedreht wurden. Auf die Handlung hatte der Schrecken keine Auswirkungen, dennoch sieht der Zuschauer den Film mit anderen Augen. Sheridans Manhattan zeigt eine gefährliche, Furcht erregende und abstoßende Wirklichkeit, hinter der sich ein Zauber verbirgt, - wenn die Menschen ihre Barrieren überwinden und in der Not zusammenfinden. In diesem Happy End ist "In America", die Geschichte einer europäischen Einwandererfamilie in New York, ein echt amerikanischer Film.

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