"The Place Beyond The Pines" im Kino Gosling brilliert in großartigem Drama
Düsseldorf · In "Blue Valentine" präsentierte er schonungslos eine scheiternde Liebesbeziehung, in seinem epischen Drama "The Place Beyond The Pines" beschäftigt sich Regisseur Derek Cianfrance erneut mit essenziellen Themen. Ryan Gosling überragt – mal wieder.

Szenenbilder zu "The Place Beyond The Pines"
In "Blue Valentine" präsentierte er schonungslos eine scheiternde Liebesbeziehung, in seinem epischen Drama "The Place Beyond The Pines" beschäftigt sich Regisseur Derek Cianfrance erneut mit essenziellen Themen. Ryan Gosling überragt — mal wieder.
Schnitt — und für einen kurzen Moment ist es still. Die Kamera folgt dem Protagonisten auf dem Motorrad in einer Totalen, sanfte Musik setzt ein, das Szenario wirkt geradezu unpassend betörend. Wenn Luke Glanton (Ryan Gosling) auf der Landstraße umherstreift, die mitten durch den dichten Wald führt, macht der Film seinem Titel alle Ehre. Endlich möchte man als Zuschauer sagen. Denn was es ansonsten in dem Drama "The Place Beyond The Pines" ('Der Platz hinter den Kiefern') zu sehen gibt, ist für den mitfühlenden Zuschauer zumeist qualvoll.
Schönheit oder Eleganz sind in Schenectady, New York, einer kleinen Vorstadt in den Staaten, nur ganz selten zu finden, umso eindringlicher bleiben diese wenigen Szenen in Erinnerung. Realismus wird in dem neuen Werk von Derek Cianfrance ("Blue Valentine") groß geschrieben — und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Der Regisseur beschäftigt sich mit seinen Figuren, deren Handlungen, den Rollen die sie in der Gesellschaft einnehmen und wie sie diesen entfliehen können — ganz im Sinne der Realismus-Epoche.
Zu Beginn präsentiert sich der Film jedoch als naturalistisches Drama: Glanton, Spitzname 'Handsome Luke', ist der Star einer kleinen Kirmes. Mit zwei Kollegen zeigt er Nacht für Nacht spektakuläre Motorradstunts. Sein Leben ändert sich abrupt, als er von seiner Verflossenen Romina (Eva Mendes) erfährt, dass er einen kleinen Sohn hat. Kurzerhand beschließt er seinen Job zu kündigen und auf Anraten eines Freundes sein außergewöhnliches Talent besser zu nutzen: Er raubt die lokalen Banken aus und flüchtet mit dem Motorrad — und greift so der Mutter seines Kindes finanziell unter die Arme.
Gosling stellt Cooper in den Schatten
Das Leben könnte so schön sein. Wäre da nicht Polizist Avery (Bradley Cooper), der Glantons kriminelles Dasein beenden wird. Der ambitionierte Jungspund hat derweil aber ähnliche Probleme: Korruption in den eigenen Reihen bringt ihn in ein moralisches Dilemma. Im Gegensatz zu Glanton verfügt er aber über ein machtvolles familiäres Umfeld und kann sich aus der Problemsituation deutlich eleganter befreien.
Mit dieser Gegenüberstellung zeigt Cianfrance einerseits die sozialen Diskrepanzen der beiden Protagonisten. Andererseits nutzt er es, um die Reichweite unserer Entscheidungen aufzudecken. Der Film outet sich im weiteren Verlauf als Epos, selbst die Kinder von den beiden Gegenspielern werden später detailliert eingefangen. Und somit wirft Cianfrance eine essenzielle Frage auf: Wie werden wir zu dem Menschen, der wir letztlich sind?
Das ist fraglos ein großes, ambitioniertes Unterfangen. Neben einem kraftvollen Drehbuch setzt Cianfrance auf Schauspieler, die diese Last auch meistern können. Cooper überzeugt als ehrgeiziger, zerrissener Polizist, der vor einer großen Karriere steht. Dennoch kann er die große Bürde, die ihm Gosling übergibt, nicht tragen. Der kanadische Frauenschwarm hat im ersten Drittel des Films die Leinwand fast komplett für sich — und brilliert. Wie schon in "Drive" spielt er seine Figur minimalistisch, Emotionen erwischen den Zuschauer kalt. Empathie kommt dennoch nicht zu kurz, zu rührend kümmert sich der auf den ersten Blick gefühlskalte Glanton um seinen Sohn, zu nobel sind seine kriminellen Taten. Recht und Unrecht verschwimmen hier in einem unerkennbaren Sud.
Dazu trägt aber auch der Stil von Kameramann Sean Bobbitt bei. Ruhige Bilder sind die Ausnahme, eine den Protagonisten folgende Steadicam und Close-up-Aufnahmen sind Usus. Ein dokumentarischer Stil gelingt den Machern damit, Actionszenen sind selten und beileibe nicht aufwendig choreografiert — dennoch schaffen es Cianfrance und Bobbitt mit eben jenem Stil eine erstaunliche Präsenz und Spannung zu erzeugen. Der Zuschauer wird in den Film geradezu hineingesogen.
Kleine Schicksale, große Themen
Damit bleibt Cianfrance seinen bisherigen Werken treu. Und auch hinsichtlich der Story gibt sich der Regisseur keine Blöße: Wie schon bei seinem Erstlingswerk "Blue Valentine" mutet er den Zuschauern einiges zu. Radikale Schnitte und ein ebenso radikaler Plot sind die Folge. Waren es vor wenigen Jahren noch Gosling und Filmpartnerin Michelle Williams, die nichts ahnend in ihr Verderben trieben, ist es dieses Mal lediglich der 32-jährige Hollywoodstar.
In "Blue Valentine" provozierte Cianfrance noch zahlreiche Zeitsprünge und legte damit den Untergang der Liebesbeziehung der beiden Protagonisten schmerzhaft, fast schon qualvoll offen. In "The Place Beyond The Pines" wechselt er hingegen schonungslos die Protagonisten, Figuren werden lieblos ad acta gelegt. Die Themen sind bei Cianfrance groß, die Schicksale klein.