Kino-Kritik Ghetto: Die Kraft der Kunst

Regisseur Audrius Juzenas wählte Originalschausplätze im Litauischen Vilna aus, um das Theaterstück "Ghetto" von Joshua Sobol zu verfilmen. Erzählt wird die Geschichte eines Theaters, das 1941 auf Befehl eines SS-Mannes entstand. Heino Ferch und Erika Maroszan bewegen sich zwischen Schönheit und grausamem Wahnsinn.

 SS-Mann Kittel (Sebastian Hülk) schwankt zwischen seiner Bewunderung für Haya (Erika Maroszan) und seinen Befehlen.

SS-Mann Kittel (Sebastian Hülk) schwankt zwischen seiner Bewunderung für Haya (Erika Maroszan) und seinen Befehlen.

Foto: ddp, ddp

Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Litauen ermorden Erschießungskommandos 55.000 Juden. Die Überlebenden werden in Ghettos gepfercht. Eines der größten ist in Vilna, wo noch 15.000 Juden leben. Ghetto-Kommandant ist der erst 22 Jahre alte SS-Offizier Kittel (Sebastian Hülk). Der ebenso eitle wie kunstsinnige Nazi entdeckt einen Trupp jüdischer Schauspieler, die sich über die Kanalisation ins Ghetto retten konnten. Zu ihnen gehört die berühmte Sängerin Haya (Erika Maroszán), die mit ihrer Stimme und Schönheit Kittel betört. Er befiehlt ihr und ihren Kollegen, im Ghetto ein Theater zu eröffnen.

Für die Ordnung im Ghetto sorgt der jüdische Polizeichef Gens (Heino Ferch), der einerseits die Befehle Kittels ausführen und seinen unberechenbaren Launen folgen muss, andererseits aber so viele jüdische Leben wie möglich zu retten versucht. Nach der deutschen Niederlage bei Stalingrad 1943 spitzt sich die Lage zu. Kittel erhält den Befehl, alle Juden zu töten und das Ghetto auszulöschen. Während die sowjetische Rote Armee näher rückt, versuchen Gens und Haya, an Kittels Gewissen zu appellieren.

Dass die Inszenierung sehr bühnenhaft wirkt, ist kein Wunder. Bühnenautor Sobol schrieb auch das Drehbuch, Regisseur Jueznas hielt sich weitgehend an die Vorlage, und die Hauptfigur der Haya fungiert als Off-Erzählerin. So ergreifend einige Szenen ausgefallen sind, man vermisst eine szenisch-bildmäßige Auflösung, die dem vorrangig visuell operierenden Medium Film gerecht werden würde.

Didaktischer Ton

Über weite Strecken drängt sich zudem in den Dialogen der deutsch-litauischen Koproduktion ein didaktischer Ton in den Vordergrund, der wohl der Aufklärungsaufgabe des Films geschuldet ist: "Ghetto" ist Teil des litauischen Holocaust-Gedenkprogramms und wurde von neun ausländischen Botschaften in Vilna unterstützt.

Für die Hauptrollen in seinem zweiten langen Film nach "Black Glasses Blue" (1994) konnte der 1963 geborene Regisseur Stars wie Heino Ferch und die Ungarin Erika Marozsán ("Gloomy Sunday") gewinnen. Vor allem Ferch gewinnt im Verlauf des Films zunehmend Kontur als innerlich zerrissene tragische Gestalt, die sich durch den Nazi-Rassenwahn dazu gezwungen sieht, Juden in den Tod zu schicken, um andere Juden zu retten.

Dagegen bleibt der Film-Newcomer Sebastian Hülk bei der Interpretation der ohnehin artifiziellen Figur des Kittel in den Klischees eines unberechenbaren Nazi-Monsters stecken, das unvermittelt zwischen jovialem Gehabe und purer Mordlust schwankt.

(afp2)
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