Kino-Kritik Flug 93: Angst und Mut am 11. September

Fast fünf Jahre ist es nun bereits her, dass arabische Terroristen Flugzeuge kaperten und in US-Gebäude steuerten. Was die Angehörigen der Getöteten durchmachten, wurde immer wieder dokumentiert. Doch wie ging es den Passagieren, die sich an Bord der entführten Maschinen befanden? Den dramatischen Minuten an Bord des Fluges 93 geht Regisseur Paul Greengrass in seinem spannend-beklemmenden Dokudrama nach.

Flug 93
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Foto: UIP

Der Brite Paul Greengrass rekonstruiert akribisch und in fesselnder Echtzeit die Ereignisse in dem entführten Flugzeug, das als einziges sein mutmaßliches Ziel, das Weiße Haus in Washington, nicht erreichte, sondern auf einem Feld in Pennsylvania aufschlug. Dabei ist ihm ein hervorragender Film über den Schock einer Extremsituation und die Hilflosigkeit gegenüber terroristischer Gewalt gelungen.

Am 11. September 2001 erschütterte eine verheerende Anschlagserie die USA. Terroristen steuerten zwei entführte Passagierflugzeuge in die Türme des World Trade Center und ein weiteres ins Pentagon. Eine vierte Maschine verfehlte ihr wahrscheinliches Ziel, das Weiße Haus, und zerschellte mit 33 Passagieren, sieben Besatzungsmitgliedern und vier Terroristen südöstlich von Pittsburgh. Das Schicksal des "Fluges 93", der 91 Minuten dauerte, steht im Mittelpunkt des gleichnamigen Kinofilms von Greengrass, der 2002 in dem Film "Bloody Sunday" mit dokumentarischer Härte nacherzählte, wie britische Soldaten 1972 bei einem Friedensmarsch in Nordirland 13 unbewaffnete Bürgerrechtler erschossen.

Interviews und Telefonate

Das wichtigste Anliegen von Greengrass war Authentizität. Er führte etwa 100 Interviews mit Militärs, Mitarbeitern der Flugsicherung und Angehörigen der Todesopfer, die alle ihre Zustimmung zu dem Filmprojekt gaben. Er wertete den Bericht der Untersuchungskommission aus und hörte die Mitschnitte der Telefonate ab, die die Passagiere der Maschine kurz vor ihrem Tod mit ihren Familien führten.

Wo die Überlieferung endet, improvisierte Greengrass oder spekulierte bis hin zur fiktionalen Ausmalung des Endes über die Vorgänge an Bord. Bekanntlich haben einige Passagiere per Telefon von den anderen Attentaten erfahren und versucht, Widerstand zu organisieren. Ob sie tatsächlich im Angesicht des unausweichlichen Todes heldenmütig die Pilotenkabine stürmen konnten, wie im Film geschildert, ist unklar. Einen weiteren Anschlag konnten sie verhindern, den Absturz nicht.

Greengrass verzichtet konsequent auf die Hollywood-üblichen Mechanismen vordergründiger Glorifizierungen. Keiner der Insassen, die die Revolte ins Rollen bringen, wird zum entscheidenden Helden stilisiert - es ist ein kollektiver Aufstand. Stars kommen nicht zum Einsatz, dafür unbekannte Schauspieler sowie echte Piloten und Flugbegleiterinnen. Damals diensthabende Militärs und der Chef der Luftfahrtbehörde FAA, Ben Sliney, spielen sich selbst. Selbst die vier Terroristen werden als Menschen mit Schwächen dargestellt, einer zaudert, ein anderer verliert fast die Nerven, alle vier beten zu Allah wie die christlichen Passagiere zu Gott.

Emotionale Erschütterung

Mit einer agilen Handkamera, Reißschwenks, rasanten Schnitten und einer nervös pulsierenden Musik zieht Greengrass die Zuschauer unwiderstehlich ins Geschehen und lässt sie am Schock und der Tragik der Insassen teilhaben. Am Ende entlässt er das Publikum verstört und unversöhnt in die Realität.

Über die emotionale Erschütterung hinaus wirft die Inszenierung wichtige Fragen auf: Wie hätte ich mich verhalten? Hätte die Katastrophe verhindert werden können? Einige Reaktionen beziehungsweise Unterlassungen der Behörden und des Militärs stellen zumindest die Sicherheitskonzepte in Frage.

Der nächste Beitrag aus einer ganzen Reihe von Filmen über den 11. September, Oliver Stones "World Trade Center", wird bald folgen.

(afp2)
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