Film-Kritik Entgleist: Bitte recht treu bleiben!

Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um, sagt man. Das nur als Warnung für alle, die meinen, sie könnten mal eben einen Seitensprung begehen, weil ihnen ihre Ehe mal langweilig wird. Ein bisschen flirten oder sogar mehr? Ist nicht. Da wird es schon mal richtig brenzlig, lernt auch Charles (Clive Owen), der als braver Familienvater auf die hübschen Beine von Lucinda (Jennifer Aniston) guckt. Ihm droht mindestens das Fegefeuer, denn die Moral kommt immer noch an erster Stelle, bei diesem US-Film mit schwedisch-französischer Beteiligung.

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Lucinda und Charles sind sich auf Anhieb sympathisch, zeigen Fotos der Kinder, und landen nach einigen Rendez-Vous', von Gewissensbissen geplagt, in einem schäbigen Hotelzimmer. Bevor der Ehebruch vollzogen ist, wird Charles jedoch von einem Einbrecher zusammengeschlagen, der Lucinda vergewaltigt. Und das ist erst der Beginn einer Serie von Erpressung und Mord, die Charles' bürgerliche Existenz zu zerstören droht.

Der Schwede Mikael Håfström, der für sein Psychodrama "Evil" den Oscar bekam, hat sich für seinen ersten Hollywood-Film leider ein schwaches Drehbuch ausgesucht. So werden aufmerksame Zuschauer in der Szenenabfolge nicht nur schlampige Anschlussfehler feststellen, in denen etwa ein regennasser Charles in der nächsten Einstellung frisch gefönt auftritt. Nach der überzeugenden ersten Filmhälfte geht die Logik im strömenden Regen allzu oft baden, und die Falle wird so offensichtlich, dass man sich fragt: Hat der verhinderte Ehebrecher noch nie Hitchcock-Krimis gesehen?

Auf Bitten Lucindas schaltet er stattdessen nicht die Polizei ein und lässt sich von dem Gangster terrorisieren. Der skrupellose La Roche verfolgt ihn nach Hause und macht der Ehefrau und der diabeteskranken Tochter, deren Operationsgeld er von Charles erpresst hat, mit versteckten Drohungen die Honneurs. Ehefrau Melissa gehört zu jenen gutgläubigen Filmfrauen, die nicht groß nachfragen, wenn ihr Mann mit einem Veilchen heimkommt; einen Büroboten, der Charles Tipps gibt, erwartet das übliche Schicksal schwarzer Nebenrollen-Helfer. Und die abschließende Rachefantasie ist in ihrer Übertreibung ein echter Brüller.

Clive Owen sieht rot

Im Detail aber beweist der Thriller, der für die erlösende Kraft der Familie plädiert und dumpfe Selbstjustiz-Fantasien aufwärmt, durchaus Qualitäten. Neben spannenden Dialogen sorgt die Hase- und Igel-Strategie von Charles und seiner mit französischem Akzent säuselnden Nemesis stetig für kleinere Adrenalinschübe. Die bedrohliche Atmosphäre der heruntergekommenen Chicagoer Innenstadt ist in einem kammerspielhaften Film-Noir-Stil inszeniert; und auch ins heile Vorortidyll sickert mit Charles' psychopathischem Verfolger fotogenes Gesindel aus "Downtown" ein.

Der größte Trumpf dieses mittelprächtigen Genreausflugs sind seine Darsteller: Vincent Cassel etabliert sich nach seinem durchgeknallten Auftritt in "Ocean's Twelve" endgültig als haarsträubend amoralischer Franzose, der braven Amerikanern wie der leibhaftige Antichrist gegenübertritt. Jennifer Aniston dagegen unterspielt mit der subtil erotischen Ausstrahlung eines netten Mädchens von nebenan gekonnt das krude Schlampen-Klischee, was ihrem Flirt mit Charles psychologische Wahrhaftigkeit verleiht. Der Brite Clive Owen als gequälter, zum äußersten getriebener Biedermann veredelt seinen vorhersehbaren Part souverän und beweist erneut, dass er die perfekte James-Bond-Besetzung gewesen wäre.

(ap)
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