Jetzt im Kino: "Vorstadtkrokodile" Eine Spaßbande testet Grenzen

(RP). Kai, der Rollstuhlfahrer, muss mal pinkeln. Für seine neuen Kumpels ist das eine ziemliche Herausforderung. Nun müssen sie ihn nämlich aus dem Stuhl hieven. Bis hierhin geht's ja noch mit der Kameradschaft in der Jugendclique. Aber nun macht Kai (Fabian Halbig) sie darauf aufmerksam, dass er mit beiden Armen über fremden Schultern nicht an seinen Hosenlatz kommt.

Jetzt im Kino: "Vorstadtkrokodile": Eine Spaßbande testet Grenzen
Foto: Constantin Film

In "Vorstadtkrokodile", der neuen Verfilmung von Max von der Grüns Kinderbuchklassiker aus dem Jahr 1976, wird das keine verkrampft politisch korrekte Szene, in der Solidarität eingefordert wird, ohne Hilfsbedürftigkeit einzugestehen. Im Gegenteil, hier wird der reale falsche Umgang mit der Situation vergnügt druckvoll inszeniert: Ekel, dumme Witze, Wegschauen, Geblöke und Gehampele. Dieser Film glaubt: Kinder müssen Fehler erst mal machen dürfen, um aus ihnen lernen zu können.

Der auf Besserwisserei verzichtende Umgang mit dem 1977 schon einmal erfolgreich fürs Fernsehen verfilmten Stoff prägt Christian Ditters "Vorstadtkrokodile" in jeder Szene. Hier wird nicht nur der Kinderkrimi — die Halbwüchsigenbande der Vorstadtkrokodile kommt einer Einbrecherbande auf die Schliche — schwungvoll und witzig inszeniert, mit schönen Bildentwürfen und durchdachten Schnittfolgen. Hier wird vor allem das zentrale Thema von Gruppendruck und Anderssein forsch und frech angegangen.

Rücksichtnahme fast Fehlanzeige

Der behinderte Kai würde gerne in die Clique aufgenommen werden. Doch die definiert sich bisher stark über das Bestehen körperlicher Herausforderungen. Schlimmer noch: die Kids (etwa Nick Romeo Reimann, Manuel Steitz) sind gerade dabei, sich über Frechheit, Coolness, Übermut das eigene Erwachsenwerden zu versichern. Sie sind in einer Phase, in der Rücksichtnahme ihrer Selbstentfaltung in die Wege kommt.

Ditter ("Französisch für Anfänger", "Türkisch für Anfänger") hat kein Problem damit, dass die Jungs Lieblingsschimpfwörter wie "Spasti" haben. Er lässt ihnen eine lebensnahe provokante Sprache, was die jungen Darsteller sehr motiviert. Die sagen keine brav gelernten Texte auf, die reden und krakeelen, als seien ihnen die Dialoge gerade erst selbst eingefallen.

Was nicht heißt, dass hier komplizenfeixend Vorurteile und Gehässigkeiten ausgekostet werden. Ditter inszeniert genauso souverän die Ermahnungen durch Maria (Leonie Tepe), das einzige Mädchen der Clique und wie im Leben die Range mit der höchsten sozialen Intelligenz, die Skrupel und Reuemomente, das Zugehen auf Kai. Nur bleibt das hier immer ganz frei vom Pädagogensauren des Weltverbesserungsfilms. Die Vorstadtkrokodile sind — zum Glück — eine Spaßbande. Darum will Kai ja dazugehören.

Bewertung: 4 von 5 Sternen

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort