"Before Midnight" jetzt im Kino Die schönste Seifenoper des Kinos

Düsseldorf · "Before Midnight" heißt der großartige dritte Film mit Julie Delpy und Ethan Hawke als Liebespaar. 1995 trafen sich die beiden zum ersten Mal, inzwischen sind sie Eltern von Zwillingen. Selten hörte man wahrhaftigere Dialoge.

"Before Midnight" - Anfang vom Ende einer Kult-Liebe
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Natürlich erzählen diese drei Filme auch die Geschichte ihrer Zuschauer, deshalb sind sie ja so rührend und bewegend.

Man erkennt sich selbst darin und sieht, wie man sich veränderte in den vergangen Jahren und vor allem: wie schwierig die Sache mit der Liebe geworden ist. "Before Midnight" heißt dieser neue Film, er ist der wahrhaftigste, den man sich nur denken kann, und er wagt etwas Ungeheures, nämlich die Kongruenz von Fiktion und Wirklichkeit.

Vor 18 Jahren begann die großartigste Soap-Opera des Kinos. 1995 trafen die von Julie Delpy und Ethan Hawke gespielten Céline und Jesse erstmals aufeinander — sie Französin, er Amerikaner. Sie hatten einander nicht gesucht, sondern gefunden, im Zug von Budapest nach Wien, und der Film hieß "Before Sunrise".

Man sollte sich den Spaß machen und diesen Film noch einmal schauen, bevor man Teil drei im Kino erlebt. Man wird staunen, wie jung die beiden waren, wie arglos in ihrem Glauben daran, dass ein Partner stets die Entsprechung der eigenen Persönlichkeit sein muss, dass man also nur "Ich" sagen kann, wenn jemand "Ich auch" sagt.

Sie nickte, sie sprachen eine Nacht lang

Schon damals hatten Céline und Jesse den Hang zum ausschweifenden Gespräch, und bevor Jesse den Zug verließ, sagte er: "Ich rede so gerne mit dir. Steig doch mit mir aus." Sie nickte, sie sprachen eine Nacht lang weiter, waren albern und traurig, wussten nicht, ob sie küssen oder erzählen sollten, sie taten einfach beides und noch mehr. Am Schluss verabredeten sie sich: In sechs Monaten am selben Ort.

Richard Linklater drehte jenen Film und auch die folgenden. Seine Hauptdarsteller schrieben an den Drehbüchern mit, sie arbeiteten ihre Biografien ein, die Weisheit der Versehrungen ebenso wie die Euphorie der Erfüllungen. Im zweiten Teil "Before Sunset" trafen sich Céline und Jesse wieder, im Film wie im Leben waren neun Jahre vergangen.

Das mit der Verabredung hatte nicht hingehauen: Er erschien, sie nicht. Jesse war nun Autor, er las in Paris, sie hörte zu, und sein Buch handelte von ihrer ersten Begegnung. Sie gingen und redeten, und weil das Sich-Verlieben "to fall in love" heißt, sah man ihnen beim Fallen zu. Er war unglücklich verheiratet, musste heim zu Frau und Sohn, mochte aber nicht. Das Ende war für den parteiischen Zuschauer, der nur das Wohl der Figuren im Sinn hatte, das schönste denkbare: "Du verpasst dein Flugzeug." — "Ich weiß."

Von Wärme und Zärtlichkeit durchzogen

Nun also Teil drei, wieder sind auf der Leinwand und davor neun Jahre vergangen. "Before Midnight" zeigt Céline und Jesse als Paar von Anfang 40, sie sind zusammen geblieben, haben Zwillinge, und nun machen sie Urlaub in Griechenland.

Sie reden und reden wieder, und bald wird klar, dass sie nicht mehr nur über ihr Leben reden, sondern um ihr Leben, das gemeinsame nämlich, dass es also nicht nur einen Gesprächshorizont gibt, sondern auch einen Zukunftshorizont.

Die Dialoge sind an Realismus kaum zu übertreffen, da sprechen Menschen, die das Leben im Komparativ erschöpft hat: Sie wollen nicht mehr risikobereiter, findiger und kreativer sein als die Konkurrenz. Sie wollen ankommen beim anderen, bei einander, aber der Weg ist verstellt von Elternschaft, Lethargie, Sehnsucht.

Linklater zeigt das Paar an fünf Orten, am Flughafen, im Auto, im Ferienhaus, auf dem Weg zum Hotel, wo sie eine von Freunden spendierte Nacht ohne Kinder verbringen sollen, und schließlich im Hotelzimmer. Die Einstellungen sind lang, die Dialoge bei allem Konfliktpotenzial und aller Wutlust von Wärme und Zärtlichkeit durchzogen: Sie deckt seine Scherze mit einem Lächeln, und seine Abschweifungen enden stets bei ihr.

Jesse lässt das Familienleben laufen, wie Männer es tun, denen nichts fehlt. Aber er sehnt sich nach dem Sohn aus erster Ehe und schlägt vor, die Familie solle von Paris in die USA ziehen. Céline möchte das nicht, sie will wieder arbeiten, durch Jesses Passivität sieht sie sich in die Rolle der Super-Mama gedrängt, dabei liege ihr das gar nicht. Viele der Probleme sind bloß Stimmungen oder Gestimmtheiten, aber so ist das auch in der Wirklichkeit.

Seine Waffen sind Worte

Das Schöne an diesen Filmen ist nun, dass die Figuren an die Existenz eines Lebensmenschen glauben. Das sind romantische Filme, denn darin ist die Liebe ein Utopia, wo man sich vor den Verheerungen der Alltagswelt geschützt fühlt. Jesse sagt: "Früher wollte ich die Zeit beschleunigen, heute will ich sie anhalten." Also kämpft er, seine Waffen sind Worte, Céline macht es genauso, und erst in diesem Streit, im ausgesprochenen Andersdenken kommen sie bei sich selbst an.

Das mit der Liebe ist heute nicht so leicht, Beziehungen sind allzu oft keine Rückzugsorte mehr, sondern Kanäle; sie stauen das Leben nicht, sie lassen es im Fluss. So bleibt alles in Bewegung, Zuneigung ist Transit: Liebende befragen sich fortwährend, ob es noch schöner geht, ob es passendere Menschen gibt und ob alles schon ideal ist. So rätseln sie in einem fort, was sie denn wohl wollen. Sie sind sich selbst immer um die Fantasie einer besseren Zukunft voraus, das ist nicht gut — manche verpassen dabei die Gegenwart.

Die beiden hier sind indes reines Präsens, sie lassen einen an die Dauer glauben. Deshalb würde man sich gern mit ihnen verabreden: In neun Jahren am selben Ort.

Bewertung: vier von fünf Sternen

(RP/csr/das/pst)
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