Hollywoodfilm mit Daniel Brühl Die Geschichte von Wikileaks im Kino

Düsseldorf · Der Spielfilm "Inside Wikileaks - Die fünfte Gewalt" mit Benedict Cumberbatch und Daniel Brühl erzählt die Geschichte der Enthüllungsplattform – und scheitert schließlich an der Wirklichkeit.

Der Spielfilm "Inside Wikileaks - Die fünfte Gewalt" mit Benedict Cumberbatch und Daniel Brühl erzählt die Geschichte der Enthüllungsplattform — und scheitert schließlich an der Wirklichkeit.

Vielleicht wird man unsere Zeit dereinst als diejenige bezeichnen, in der das Dokumentarische in der Kunst über die Fiktion siegte. Auf dem Feld der Literatur beobachtet man das Phänomen schon seit einiger Zeit: Die Wirklichkeit ist immer schwerer zu greifen — das Leben in den Text zu bekommen, wird knifflig. Deshalb sind viele der Bücher, die sich heranwagen an die Gegenwart und ihren Lesern etwas mitteilen wollen über die Umstände, in denen sie leben, biografisch oder journalistisch. Der Roman hat die Tendenz, die Welt zu miniaturisieren, deshalb entscheiden sich wichtige Autoren wie der Amerikaner Dave Eggers häufig dafür, sie schlicht zu dokumentieren.

Im Kino bahnt sich eine ähnliche Entwicklung an. Regisseure, die von der Gegenwart erzählen, vom Leben in der westlichen Welt, stehen vor der Aufgabe, das weiße Rauschen abbilden zu müssen, das den Grundbass unseres Alltags bildet — den Strom der Daten also, die rasenden Zahlenketten, den Quellcode des Jetzt. Wie schwierig das ist, weiß man seit David Finchers "The Social Network", dem Spielfilm über Mark Zuckerberg und die Entstehung von Facebook. Zuckerberg wird als Nerd im Stil der 80er Jahre karikiert, als Soziopath in Badelatschen. "The Social Network" war eine Enttäuschung, weil Großes unzulässig verkleinert wurde. Diese Produktion arbeitete nicht maßstabsgetreu.

Mission bleibt im Unklaren

Auch "Inside Wikileaks" scheitert an der Übersetzung von Realem ins Medium des Spielfilms — immerhin wagt er mehr. Regisseur Bill Condon erzählt die Geschichte von Julian Assange und der Gründung der Enthüllungsplattform Wikileaks. Der britische Schauspieler Benedict Cumberbatch gibt Assange als genialischen Drifter, dessen Mission jedoch im Unklaren bleibt. Der Zuschauer begegnet ihm in Berlin, wo er 2007 beim Chaos Computer Congress über die Notwendigkeit spricht, die Hintergründe solcher Ereignisse zu verraten, "die wir zu kennen meinen, aber in Wirklichkeit doch nicht kennen".

Assange gewinnt den Deutschen Daniel Domscheit-Berg (Daniel Brühl) als Verbündeten, und auf dessen Erinnerungsbuch stützt sich der Film hauptsächlich. Die beiden planen ihre subversiven Aktionen bei einer Flasche "Club Mate" in der Touristenattraktion Tacheles in Berlin, und da notgedrungen unsichtbar bleiben muss, was in den Rechnern passiert, sucht sich Bill Condon Bilder. Assange machte der Welt zunächst vor, er habe Hunderte von Helfern, dabei waren er und Domscheit-Berg allein. Also sieht man ein unendlich in den Raum verlängertes Büro unter freiem Himmel, an den Schreibtischen sitzt der vervielfältigte Cumberbatch-Assange. Condon teilt die Leinwand, er inszeniert die an sich karge Wikileaks-Homepage als endlose Pinnwand, und als Assange auf dem Rollband im Flughafen eine Email in den Computer tippt, lässt Condon den Text am Handlauf für alle sichtbar entlangscrollen.

Alle Klischees willkommen

Diese Ideen tragen noch keinen 130-Minuten-Film, deshalb hängt Bill Condon die Handlung an die Schauspieler. So beschränkt sich "Inside Wikileaks" auf das Verhältnis von Assange und Domscheit-Berg — und bestätigt alle Klischees: Assange ist größenwahnsinnig, genial und paranoid; Domscheit-Berg idealistisch, verblendet und verbittert. Assange suspendiert den einstigen Gefährten schließlich wegen "Destabilisierung in Krisenzeiten", Domscheit-Berg organisiert im Gegenzug die Abschaltung der zentralen Software der Plattform.

Zu kurz kommen die politische Dimension und die Wirkung von Wikileaks. Wikileaks veröffentlichte 2010 in Zusammenarbeit mit "Guardian", "New York Times" und "Spiegel" Depeschen und Dokumente unter anderem über Afghanistan. Die Chefredakteure der Print-Publikationen drängten darauf, dass Namen von Informanten geschwärzt werden, damit die Whistleblower nicht identifizierbar sind. Assange war dagegen, sagte dennoch zu, gab den Auftrag jedoch nicht an sein Team weiter. Domscheit-Berg rettete kurz vor knapp, was noch zu retten war.

Keine Diskussion, keinen Austausch

"Inside Wikileaks" macht nicht verständlich, was der Antrieb Assanges ist. Ist es die Nähe zum anarchistischen Gedankengut? Hass auf Autoritäten? Der Film zeigt keine Diskussionen, keinen Austausch über die Sucht nach radikaler Transparenz. Er macht aus dem politischen Thema ein privates und bietet als Erklärung nur an, dass Assange eine schwierige Kindheit hatte. Es raunt zwischen den Bildern.

Über Wikileaks erschien einige Monate zuvor eine erhellende Dokumentation, sie heißt "We Steal Secrets: The Story Of Wikileaks". Wer wirklich etwas erfahren will über die Organisation, sollte sich besser dort auf die Suche nach Antworten machen. Regisseur Alex Gibney rückt immer weiter von der Person Assange ab, und er stellt die entscheidende Frage: Warum brauchen Demokratien überhaupt Heldentum?

Mitschreiben ist der Versuch, Ordnung zu schaffen, die Welt im Chaos zu finden und sich selbst in dieser Welt zu erkennen. Bei Geschichten wie der von Wikileaks kommt es nicht auf die Form an, was zählt, ist die innere Notwendigkeit. Letztere erkennt man im Spielfilm nicht, dort verliert sie sich in der Mittelbarkeit. Die Wahrheit sagt allein das Dokument.

(RP)
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