Film-Kritik Der Polarexpress: Technik statt Wärme

"Der Polarexpress" ist zwar ein Wunderwerk der Computer-Filmkunst, aber warm ums Herz wird es dem Kinobesucher bei dieser technischen Weihnachtsgeschichte nicht. Schauspieler Tom Hanks und Regisseur Robert Zemeckis, die sich von den Produktionen "Verschollen" und "Forrest Gump" kennen, haben es mit ihrem neuen Zeichentrickwerk wohl etwas zu gut gemeint.

Der Polarexpress
13 Bilder

Der Polarexpress

13 Bilder
Foto: Warner Bros. Ent.

Für die Geschichte reichen im Bilderbuch von Chris van Allsburg 32 Seiten: Ein acht Jahre alter Junge hat Zweifel an Santa Clause, dem US-amerikanischen Christkind, der in der Nacht zum 25. Dezember die Geschenke bringt. Er sucht nach Zeichen und Symbolen, dass der Weihnachtsmann tatsächlich existiert. Kurz nach dem Einschlafen an Heilig Abend erträumt er sich dann den Polarexpress, der ihn an den Nordpol und damit direkt zur Wirkungsstätte von Santa Clause bringt. Im Grunde geht es also um den Glauben an den dicken Mann im roten Anzug mit dem weißen Bart und der Pudelmütze.

Dass mit dieser Geschichte und dem Buch, das in den USA auf der klassischen Lektüreliste für Kinder steht, hier zu Lande eigentlich niemand etwas anfangen kann, ist nur das kleinere Problem des Films. Seine Schwäche ist, dass offensichtlich mehr Engagement dafür verwendet wurde, digital erzeugte Haarfrisuren vom Wind äußerst glaubhaft durcheinander bringen zu lassen, als echte Gefühle zu erzeugen, die sich nach wie vor aus den Figuren und der Handlung ergeben.

Die weiteren Zugpassagiere wurden politisch korrekt ausgewählt: ein kluges, schwarzes Mädchen, ein nerviger Naseweis und ein armer, einsamer Junge. Auf ihrer Reise, die einer Achterbahnfahrt durch Disneyland gleicht, müssen sie viele Abenteuer überstehen, kaum ist eine Gefahr gebannt, droht schon die nächste. Wird es besonders brenzlig, streckt ein in Gestalt eines Landstreichers auftauchender Geist in letzter Sekunde seine helfende Hand aus.

Entspannende Momente sind selten. Einmal erlaubt das Drehbuch aber ein kurzes Luftholen, obwohl die Animation atemberaubend ist: als dem Helden ein Fahrschein entwischt, der leicht wie eine Feder durch die winterliche Wunderlandschaft weht, an einem Wolfsrudel vorbei wirbelt, in einem Adlerschnabel durch Schluchten, Wälder und Wasserfälle taucht und letztlich wieder im Zug landet.

Sehr Detail verliebt und Technik versessen sind die zum Teil Oscar gekrönten Visual-Effects-Handwerker ihrer Arbeit nachgegangen. Mal spiegelt sich die Handlung in einer verchromten Radkappe, mal wird der kleine Junge beim Lesen aus seinem Buch heraus gefilmt. Die Figuren sollten außerdem mit neuen, so genannten Perfomance-Capture-Aufnahmen besonders lebensecht werden. Schauspieler haben die Szenen vorgespielt, anschließend wurden ihre Bewegungen auf den Computer übertragen. Tom Hanks war Vorbild für gleich fünf verschiedene Rollen: den kleinen Jungen, den Vater des Jungen, den Schaffner, den Geist und den Weihnachtsmann.

Regisseur Zemeckis hatte die Vorstellung, dass "Der Polarexpress" wie ein bewegtes Ölgemälde aussehen sollte, genau der Vorlage entsprechend. Fast realistisch erscheinen die Bilder, etwas geheimnisvoll und traumwandlerisch auf Grund der vornehmlich dunklen Töne. Grau, Schwarz und Dunkelblau dominieren, kommt Farbe ins Spiel, wie bei den Schlafanzügen der Kinder oder den roten Uniformen der Elfen, den kleinen Helfern von Santa Clause, dann nur abgeschwächt, beinahe schmutzig. Dermaßen durchdesignt ist der Film, dass er am Ende so kalt und eisig erscheint, wie der Ort, an dem er spielt. Auch die Gesichter der Kinder, des Schaffners und sogar des Weihnachtsmannes wirken trotz aller Belebungsversuche teilnahmslos und maskenhaft.

Menschenleere Straßen und Gassen

Als der Zug endlich ankommt, finden sich die Kinder an einem merkwürdigen Ort wieder. Die Stadt am Nordpol besteht aus riesigen Backsteingebäuden, menschenleeren, ausgestorbenen Straßen und Gassen, einem Labyrinth aus unendlichen, überdimensionierten Hallen, die eher als Darstellung für die böse Fratze des Kapitalismus dienen könnte als für eine barmherzige Geschenkeschmiede. Seltsam, beinahe beklemmend muten die Massen von Elfen an, die ihrem Chef Santa bei seinem Auftritt am Weihnachtstag zujubeln wie einem spirituellen Führer.

Dieser angelsächsische Weihnachtsmann, weder verwandt noch verschwägert mit dem hiesigen Nikolaus, versprüht anschließend großväterliche Weisheiten, die Kinder akzeptieren binnen Sekunden und angesichts eines Sackes voller Gaben ihre Schwächen und Fehltritte und machen sich mehr oder weniger fröhlich nach langen 100 Minuten wieder auf den Heimweg. "Wo der Zug hinfährt, spielt keine Rolle", sagt der Schaffner am Schluss, "wichtig ist nur, dass man einsteigt." Im Fall von "Der Polarexpress" ist es allerdings besser, zu Hause zu bleiben.

(ap)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort